"Alternative für Deutschland" sucht Profil
26. Januar 2014Eigentlich ging es auf dem Parteitag der "Alternative für Deutschland" (AfD) in Aschaffenburg nicht um das Programm für die Europawahl - damit will sich die Partei erst Ende März befassen. Die rund 300 Delegierten sollten am Samstag die Kandidatenliste für das EU-Parlament wählen. Das gelang nicht vollständig. Rund 100 Kandidaten hatten sich für zehn Plätze beworben. Nach zwölfstündiger Sitzung und sechs gewählten Kandidaten wurde die Sitzung vertagt - auf kommendes Wochenende.
Doch Parteichef Bernd Lucke nutzte die Gelegenheit für eine programmatische Grundaussage. Aus dem Wahlkampfslogan "Mut zur Wahrheit", mit dem die AfD bei der Bundestagswahl 4,7 Prozent holte und damit nur knapp den Einzug ins Parlament verfehlte, ist nun "Mut zu Deutschland" geworden. Die Delegierten begrüßten Luckes Vorschlag.
Was steckt dahinter? Allein mit der die Gründungsphase prägenden Kritik am Euro kann sich die Partei nicht etablieren. Das weiß Lucke. Deshalb soll sich die AfD nun inhaltlich breiter aufstellen - versehen mit dem Etikett "nationalkonservativ". Das wurde öffentlich zwar so nicht gesagt, schwingt im neuen Slogan aber mit. Und manche Reden von Partei-Mitgliedern passten auch dazu. Sie warnten vor dem "Verlust der kulturellen Identität" oder davor, "dass die Deutschen in einem europäischen Brei aufgehen". Sie sprachen sich für ein "Europa der Vaterländer" aus. Die prominente erzkonservative Beatrix von Storch formulierte es so: "Demokratie geht nur national." Einem Kandidaten wurde off-the-record mit auf den Weg gegeben, jetzt könne man in Brüssel "endlich die deutsche Flagge hissen".
"EU ist undemokratisch"
Die AfDler in Aschaffenburg einte die Kritik an den "undemokratischen" EU-Institutionen und einem "aufgeblähten Beamtenapparat mit fürstlichen Pensionen". Von den europäischen Werten "Demokratie, Solidarität und Subsidarität" hätte sich die EU-Bürokratie weit entfernt, sagt Lucke. Doch diese fundamentale Kritik hält die AfD nicht davon ab, Abgeordnete ins EU-Parlament schicken zu wollen.
Um das miteinander vereinen zu können, ist der Euroskeptizismus der AfD weicher als der zum Beispiel aus Großbritannien. Die europäische Einigung an sich mit Binnenmarkt, Freizügigkeit und offenen Grenzen wird nicht infrage gestellt. Man will nur keinen Zentralstaat.
Die Frage nach Verbündeten
Die AfD hat gute Chancen, bei der Europawahl im Mai über die Dreiprozenthürde zu kommen. Der Erfolg soll Rückenwind für drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bringen. Und dann, in vier Jahren wolle man in den Bundestag, wie der prominente Partei-Neuling Hans-Olaf Henkel sagte. Der ehemalige Industriemanager, Wirtschaftsliberale, Buchautor und Talkshow-Gast trat erst vor kurzem der Partei bei und sorgte für zahlreiche Schlagzeilen. Er wurde auf Platz zwei der Europaliste gewählt.
Das EU-Parlament böte der AfD eine medienwirksame Bühne und die Chance, Verbündete vielleicht sogar in einer gemeinsamen Fraktion zu finden. Denn wahrscheinlich werden im nächsten EU-Parlament viel mehr Euroskeptiker als derzeit sitzen. Man werde dort natürlich das "Gespräch mit Gleichgesinnten suchen", kündigte Henkel an. Doch lauert hier auch eine Gefahr für die Partei. Mögliche Partner aus Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden sind offen rechtspopulistisch. Davon muss sich die AfD aber abgrenzen, um die Wähler zuhause in Deutschland nicht zu verlieren. Denn diese kommen mehrheitlich aus dem bürgerlichen Lager, weshalb die Partei schon den Spitznamen "Professoren-Partei" bekam. Offener Populismus würde sie abschrecken.
Lucke versuchte in Aschaffenburg, entsprechende Grenzen zu ziehen. Er wurde gefragt, wie er es mit der rechtspopulistischen Ukip-Partei aus Großbritannien halte. Ihm passe der "Tonfall" von Ukip nicht, antwortete Lucke, denn der sei zu "aufputschend", würde möglicherweise zu "Gewalt von Wirrköpfen" führen. Die angesprochene Problematik der Zuwanderung aber sei doch berechtigt, so Lucke. Man könne andere Parteien dazu bringen, sich anders auszudrücken, sagte Henkel als Antwort auf dieselbe Frage - und ließ damit ein Fenster offen.
"David gegen Golliath"
In der deutschen Parteienlandschaft sieht sich die AfD weiterhin als Außenseiter. Lucke sprach vom "Kampf gegen die Altparteien-Allianz", von "David gegen Golliath". Er machte sich über die Wahlplakate der Parteien lustig, wetterte gegen "stromlinienförmige, anpassungsfähige Politiker".
Doch in einem anderen Punkt versuchte er die "Altparteien" mit ins Boot zu holen - und zwar beim Thema Rechtspopulismus. "Ist die von der CSU vorgeschlagene Autobahnvignette für Ausländer nicht auch Rechtspopulismus", fragte Lucke. Und war die Debatte um Armutseinwanderung nicht ursprünglich eine Warnung der AfD, die nun von der Union "salonfähig" gemacht wurde? Also alles gar nicht so schlimm, was die AfD so sagt, will Lucke damit sagen.
Harte Bandagen
Lucke, der 51-jährige Professor für Volkswirtschaft, bleibt die unangefochtene Nummer eins in der Partei. Er wurde mit rund 90 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gewählt. Sein Machtanspruch und sein "autoritäres Führungsverhalten" gehen manchem aber zu weit, wie zu erfahren war. Lucke nutze seine Position aus, um seine Vorstellungen durchzudrücken, heißt es. So plane er den Programm-Parteitag im März als einen Mitglieder- und nicht als einen Delegiertenparteitag. Dann kämen einfach mehr AfDler und Lucke könnte seine große rhetorische Stärke ausnutzen, um die Massen für sich zu gewinnen. Beim ersten Bundesparteitag im April 2013 in Berlin hatte er das erfolgreich getestet.
Auch innerparteilich wird derzeit über die Ausrichtung der AfD gestritten, wohl nicht immer ganz fair. Im hessischen Landesverband gebe es Listen mit ungeliebten, weil zu extremen Parteimitgliedern, die bewusst ausgegrenzt würden, beschwerte sich ein hessischer Delegierter - und bekam dafür viel Applaus.
Lagerfragen
Präsidiumsmitglied Alexander Gauland veröffentlichte vor Aschaffenburg einen Kommentar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) über den schwierigen "Ritt auf der Rasierklinge" zwischen den beiden Lagern der Partei. Es gebe die "volkswirtschaftlich gebildeten Wirtschaftsliberalen" und die "Protestwähler" aus dem wertkonservativen Lager. Lucke versucht derzeit, diese Lager zu verbinden. Doch eigentlich gehört noch ein drittes Lager dazu. Bei der Bundestagswahl wurde die AfD auch von ehemaligen Linkspartei-Anhängern gewählt. Doch diese Gruppe blieb in Aschaffenburg völlig unbeachtet, vielleicht absichtlich. Denn mit der Entscheidung für den "Industriellen" Henkel dürften viele Linkswähler sowieso schon abgeschreckt worden sein.
Sollte sie den Einzug ins EU-Parlament mit knapp über drei Prozent erreichen, dann kann die AfD wohl drei, vier Abgeordnete stellen.