Alternativer Nobelpreis für Irene Fernandez
9. Dezember 2005Die 59-Jährige setzt sich bereits seit den 70er Jahren für die Rechte von Frauen und Arbeitern ein und gründete dazu verschiedene Netzwerke und Organisationen. Ausgezeichnet wurde sie jetzt vor allem für ihren Einsatz gegen die Ausbeutung von Zuwanderern, die ihre Arbeitskraft als Plantagenarbeiter, Hauspersonal und Prostituierte unter unwürdigsten Bedingungen verkaufen müssen.
Unter welchen Bedingungen die teils illegalen Gastarbeiter leben müssen, machte ein Mitte der 1990er Jahre veröffentlichter Bericht deutlich. Die von Irene Fernandez gegründeten Organisation "Tenaganita" schildert darin die Zustände in malaysischen Sammellagern, in die illegale Zuwanderer vor ihrer Zwangsausweisung untergebracht werden. Dort seien die Inhaftierten, darunter viele Frauen, systematisch misshandelt und sexuell missbraucht worden. Außerdem wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert, sogar eine Reihe von Todesfällen in Folge von Mangelernährung und Krankheiten wurden in dem Bericht dokumentiert.
Uneinsichtige Regierung
Doch statt energisch gegen die unhaltbaren Zustände vorzugehen, richtete sich die Empörung der malaysischen Regierung gegen die Urheberin des Berichts. Irene Fernandez wurde wegen der "böswilligen Verbreitung falscher Nachrichten" angeklagt und Anfang 1996 verhaftet. Gerade deshalb drücke der Preis die dringend notwendige internationale Beachtung ihrer Arbeit aus, so Irene Fernandez. "Die weltweite Anerkennung ist deshalb nötig, weil ich gerichtlich verurteilt worden bin für die Veröffentlichung der Zustände in den malaysischen Internierungslagern", erklärt die Menschenrechtlerin.
Der Verurteilung zu einem Jahr Haft ging eines der längsten Gerichtsverfahren in der Geschichte Malaysias voraus: Über dreihundert Mal musste Irene Fernandez in dem sieben Jahre dauernden Verfahren vor Gericht erscheinen. Im Oktober 2003 wurde sie - trotz zahlreicher entlastender Zeugenaussagen - für schuldig befunden, durch ihren Bericht das Ansehen Malaysias nachhaltig beschädigt zu haben. Zurzeit befindet sie sich gegen Kaution auf freiem Fuß. Und wartet bereits seit mehr als zwei Jahren auf einen Termin für das Berufungsverfahren.
Fehler im System
Doch es sei nicht das langwierige Verfahren, das die Preisträgerin frustriert, sondern die rechtsstaatlichen Verhältnisse in Malaysia. Sie sei frustriert über das System, das Verhältnisse schafft, in denen Gewalt gedeiht, wo Arbeitgeber ihre Arbeiter schlagen, weil sie nach ihren nicht ausgezahlten Löhnen fragen, sagt Irene Fernandez. Die Regierung unternehme nichts dagegen und fördere so diese Form der Gewalt. "Ich bin frustriert, weil die Gesetze missachtet werden, und weil die rechtlichen Instrumente, die eingeführt wurden, nicht angewendet werden. Es fehlt am politischen Willen. Das ist meine Frustration!"
In Malaysia gibt es über drei Millionen Gastarbeiter - die florierende Wirtschaft zieht Arbeitskräfte aus Indonesien, Kambodscha, Laos und Vietnam, aber auch aus Burma, Bangladesh und anderen asiatischen Ländern an. Auch wenn viele von ihnen zunächst mit Hilfe eines befristeten Arbeitsvisums einreisen dürfen - spätestens bei der Verlängerung des Visums werden hohe Schmiergelder gefordert, die für viele einfach unbezahlbar sind. Dann bleibt oft nur der Gang in die Illegalität und, damit verbunden, in die völlige Rechtlosigkeit.
Migration ist globales Problem
Für Irene Fernandez ein unhaltbarer Zustand, der von der Gesellschaft erkannt und gelöst werden müsse: "Wir müssen die Gastarbeiter darin bestärken, ihre Rechte wahrzunehmen. Und das nicht nur im Einzelfall, sondern wir müssen unterstützende Netzwerke für sie aufbauen. Ich bin mir sicher, dass durch diesen Prozess Veränderung möglich ist", sagt die Preisträgerin.
Wichtig sei es aber auch, das Problem der Zuwanderung und internationaler Migration nicht nur auf die direkt betroffenen Länder zu beschränken: "Das Problem der Gastarbeiter darf nicht nur auf ein Land oder das Gastland bezogen werden. Es ist ein regionales und ein globales Problem. Und wir müssen eine globale Bewegung schaffen, um damit umzugehen", sagt Irene Fernandez.
Obwohl ihr Reisepass seit der Verurteilung von den Behörden eingezogen wurde, durfte Irene Fernandez zur Überreichung des alternativen Nobelpreises wohl nach Schweden ausreisen. Dort hat die energische Menschenrechtlerin nicht nur die Auszeichnung persönlich entgegen genommen, sondern - vielleicht noch wichtiger - auch neue Mitstreiter und Mitstreiterinnen für ihre Aufgabe finden können.