Altes Denken gegen "Schöne neue Welt"?
30. Juni 2014Wie verhält sich der Chef eines der größten europäischen Verlagshäuser angesichts des Medienwandels? "Wie ein Kleinkind, das mit dem Fuß aufstampft und sich unter dem Rock seiner Kindergärtnerin versteckt." Mit diesen Worten beschreibt der Internet-Experte Jeff Jarvis den Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlages, Mathias Döpfner (links). Döpfner rufe nach staatlicher Rettung für sein schwankendes Geschäftsmodell - das des bezahlten Journalismus - anstatt selbst neue Ideen zu entwickeln.
Gewinn mit Digitalem
"Unsere Firma hat sich bereits radikal verändert", verteidigte sich Döpfner nun auf dem DW Global Media Forum (GMF) in Bonn. "Zwei Drittel unseres Gewinns kommt aus digitalen Angeboten. Und wir wollen der führende digitale Verlag werden."
Die GMF-Organisatoren hatten Döpfner auf dem Podium im alten Plenarsaal des Bundestags direkt neben Jarvis platziert. Der Streit der beiden Kontrahenten bestimmte denn auch die Debatte zur "Zukunft des Journalismus" auf dem Medienkongress in Bonn.
Heilsbringer Google
Am Internet-Giganten Google solle sich orientieren, wer im Netz erfolgreich sein will, sagte Jarvis. Der Internetexperte besitzt auch selbst Google-Aktien und huldigte dem Konzern aus Mountain View in seinem Buch "What would Google do?" als Heilsbringer. Als Dinosaurier betrachtet er dagegen traditionelle Medienhäuser wie Springer, die immer noch versuchten, Geld für Online-Artikel zu kassieren.
"Google verhält sich nicht wie ein Schleusenwärter, der bestimmt, welche Information zu den Menschen gelangt. Google ist eine Plattform, auf der alles gesagt werden kann", so Jarvis. Außerdem sei das Unternehmen strikt dem Service gegenüber seinen Kunden verpflichtet. Und genau darin liege die Zukunft des Journalismus: in maßgeschneiderten Dienstleistungen, wie Googles Stadtpläne, die dem einzelnen echten Nutzen brächten.
Auch wenn das Döpfners deutsches Herz in Angst und Schrecken versetze: "Ich bin froh, dass Google weiß, wo ich wohne, was ich arbeite", sagt Jarvis. "Denn dadurch können sie mir Informationen geben, die für mich relevant sind. Meine Zeitung kann das nicht."
Bedroht und verurteilt
GMF-Moderator Tim Sebastian fiel die Aufgabe zu, die beiden Kontrahenten aus ihrer Umklammerung zu lösen. Der BBC-Journalist wies darauf hin, dass nicht nur das Geschäftsmodell des Journalismus in Gefahr sei. Auch Leib und Leben von Journalisten selbst seien bedroht. Von Soldaten und Rebellen, aber auch von Polizei und Justiz. So wie die Reporter des TV-Senders Al-Dschasira English, die in Kairo ohne fairen Prozess zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.
Deren Chef, Nachrichtendirektor Salah Negm, rief zu internationaler Solidarität mit seinen Kollegen auf. Gemeinsam mit Jawhar Sircar, Geschäftsführer des indischen Senders Prasar Bharati und DW-Intendant Peter Limbourg saß er ebenfalls als Diskutant auf dem Podium des Global Media Forums. "Wir müssen diesen Kampf ausfechten", so Negm. "Wir müssen unsere Journalisten schützen, sei es in Ägypten, in Syrien oder im Irak oder in anderen gefährlichen Gegenden."
Vertrauen rund um die Welt
Die Zukunft des Journalismus sei für ihn ansonsten weniger eine Frage der Technik, die sich sowieso immer schneller verändere. "Vertrauen ist der wichtigste Faktor", sagte Negm. "Und das muss man sich erarbeiten. Jeden Tag aufs Neue. Journalismus ist kein Beruf, sondern eine Berufung."
Dem konnte DW-Intendant Peter Limbourg nur zustimmen. Wo immer nationale Medien nur eine Seite der Medaille zeigten, müssten internationale Sender wie die Deutsche Welle als Informationsanbieter ihrer Verantwortung gerecht werden. "Und dabei ist es gut, dass wir mittlerweile Konkurrenz aus China, Russland oder den Golfstaaten haben", sagte Limbourg. "Aber das muss auch umgekehrt gelten. Wir wollen auch in Saudi-Arabien, China oder Russland zugänglich sein."
Journalismus mit Zukunft braucht freien Zugang, braucht Vielfalt, braucht Meinungsfreiheit - darauf konnten sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion einigen. Zumindest fast. Wieder lag es an Döpfner und Jarvis, nicht zu viel Harmonie aufkommen zu lassen. Während der Springer-Chef öffentlich-rechtlichem Rundfunk im weltweiten Konzert der Stimmen eine wichtige Rolle zubilligt, sieht Internetexperte Jarvis in staatlich subventioniertem Journalismus vor allem eins, Wettbewerbsverzerrung. Klar ist: Dies wird nicht die letzte Podiumsdiskussion zur Zukunft des Journalismus gewesen sein. Und Freunde werden Mathias Döpfner und Jeff Jarvis in diesem Leben wohl auch nicht mehr.