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Amerikas Medien-Herbst

Rainer Traube23. November 2014

Der Medienkonsum ändert sich drastisch, die Branche steckt in der Krise. Als Media Fellow an der Duke University hat DW-Redakteur Rainer Traube den enormen Druck gespürt, der in amerikanischen Medienhäusern herrscht.

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New Yorker U-Bahn, Leute schauen auf Tablets und Smartphones (Foto: imago/Levine-Roberts)
Bild: imago/Levine-Roberts

"Wir sind alle auf dieser langen Reise ins Unbekannte". Philip Bennett, der Direktor des DeWitt Wallace Centers for Media and Democracy an der Duke-Universität in North Carolina kommt bei der Begrüßung gleich auf den Punkt: Eine Branche ist auf der Suche nach ihrer Zukunft, oder im Klartext, nach Überlebensmodellen. Bennett war lange einer der führenden Köpfe der Washington Post und weiß, dass sich alles an der Frage entscheidet, "wo bekommen wir das Geld wieder rein, das wir gerade verlieren?" - und meint damit vor allem die großen alten Institutionen des Journalismus. Wenn wir Antworten finden wollen, müssen wir also nach Washington und New York.

Weckruf für alle

Dreihundert Meter hoch erhebt sich der New York Times Tower über die Stadt, eine transparente Säule aus Glas und Stahl, Keramik und Aluminium. In einer der Redaktionsetagen, auf halbem Weg zwischen Midtown Manhattan und dem Himmel, hat die Zeitung ihren zahlreichen Pulitzer-Preisträgern eine Ehrenwand eingerichtet, gerahmte Erinnerung an ein Jahrhundert konstanter journalistischer Spitzenleistung. Aber die digitale Medienwelt lässt sich nicht mehr einrahmen. "Wir brauchen viel mehr Online-User, um den Verlust der Printleser zu kompensieren", sagt Lydia Polgreen, stellvertretende Chefin des International Desk der NYT. Es klingt wie ein Echo auf Philip Bennett. Lydia erzählt, wie sie als Afrika- und Asienkorrespondentin die enorme Rolle der sozialen Medien entdeckte. Zu einer Zeit, als man im Mutterhaus in New York beim Thema Twitter noch abwinkte.

Gebäude der New York Times in New York (Foto: Reuters/Brendan McDermid)
Inzwischen lesen mehr User die Times über mobile Endgeräte als über den PCBild: Reuters/Brendan McDermid

"Wir Journalisten müssen uns in Zukunft unsere eigene Leserbasis aufbauen, anders geht es nicht". Sie verweist darauf, dass mehr User die Times inzwischen über mobile Endgeräte lesen als über die Homepage auf einem Desktop-Computer. Inzwischen spielt die NYT eine Vorreiterrolle bei der digitalen Wende der klassischen Printmedien. Der inoffizielle "Innovation Report" wurde in der Branche zum Weckruf für alle, die sich von den Wahrheiten der alten Medienwelt noch nicht verabschiedet haben. Ein junges Team von Times-Mitarbeitern verschreibt dem eigenen Haus darin eine konsequente "digital first"-Strategie: Digitale Produktion und Vertrieb müssen Priorität haben, fordern sie - "ohne Rücksicht auf die Beschränkungen der Zeitung. Der letzte Schritt ist dann, die vorhandene, digitale Berichterstattung für die morgige Zeitung neu zu verpacken." Die bislang heilige Printausgabe spielt da nur noch eine Nebenrolle. Facebook statt Zeitungskiosk.

Greg Veis, Chefredakteur The New Republic Magazine (Foto: DW/R. Traube)
Greg Veis, The New Republic MagazineBild: DW/R. Traube

Landschaft im Umbruch

Ein paar Blocks weiter südlich zerbricht sich auch Greg Veis den Kopf darüber, wie er ein Traditionsblatt ins 21. Jahrhundert rettet: The New Republic ist ein Politik- und Kulturmagazin, linksliberal, meinungsstark, investigativ, Sprungbrett für viele US-Journalistenkarrieren. Das kleine Redaktionsteam des Republic ist deutlich jünger als seine Leser und weiß, dass die Zukunft vom digitalen Auftritt abhängen wird. "Es muss uns gelingen, da einen eigenen Ton, eine eigene Stimmung zu finden. Wie ein DJ, der eine gute Party bespielt."

Unser Field Trip erweist sich als Reise durch eine Landschaft im Umbruch. Die alten Institutionen sind erschüttert, ihre einst traditionssatte Selbstgewissheit wird abgelöst von der jetzt-sind-wir-dran-Chuzpe der Digital Natives, die nur Zukunft kennen. Buzzfeed gehört dazu, Vice oder die Huffington Post. Ausgerechnet das Vermögen, das Jeff Bezos im digitalen Markt mit Amazon gemacht hat, soll die große alte Washington Post nach Jahren des Niedergangs retten. Hundert neue Mitarbeiter finanziert der Internet-Tycoon aus Kalifornien der Post. Karin Brulliard vom International Desk bestätigt, dass die Mannschaft endlich wieder nach vorn blickt. Aber auch ihr ist klar, dass das klassische Anzeigengeschäft wegbricht, die Verluste wachsen und keiner dafür eine Lösung hat.

Amazon-Gründer Jeff Bezos (Foto: picture-alliance/dpa)
Jeff Bezos, Gründer von AmazonBild: picture-alliance/dpa

Der einzige mit einer gedruckten Zeitung

Kurz nach unserem Besuch bei der Post überrascht Facebook die Branche: Die Zahl der Nutzer hat sich auf 1,35 Milliarden erhöht, das Anzeigengeschäft boomt. Das hat einen handfesten Grund: Über 30 Prozent der Erwachsenen in den USA finden ihre Nachrichten inzwischen über Facebook. Ein Potenzial, das die klassischen Newsmedien immer stärker unter Druck setzt. Im New Yorker Büro der Plattform zeigt man uns die Wand, die alle Mitarbeiter gemeinsam gestalten (Write Something!). Eine schöne Metapher: Der Einzelne verschmilzt im Gekritzel des großen gemeinsamen Graffitis. Es ist der exakte Gegenentwurf zu den einsamen Pulitzer-Helden in ihren Rahmen hoch oben im Tower der Times.

Washington Post Online-Desk (Foto: DW/R. Traube)
Der Online-Desk bei der Washington PostBild: DW/R. Traube

Eine der Annehmlichkeiten, die ich als Fellow an der Duke-Universität mit ihren Studenten teilen darf, ist das tägliche Freiexemplar der New York Times. Jeden Tag hole ich sie aus einer Box und lese sie zum Frühstück oder Lunch. Irgendwann fiel mir beim Kampf mit dem für Europäer ungewohnten länglichen Format auf: ich bin der einzige mit einer gedruckten Zeitung im Raum; der Rest starrt auf MacBooks, Tablets und Smartphones. Nie habe ich mich älter gefühlt. Der letzte Print-Leser - Last Man Standing.

Das Duke Media Fellowship ist ein einmonatiger Studienaufenthalt am DeWitt Wallace Center for Communications and Journalism an der Duke University in Durham in North Carolina. Jedes Jahr entsendet die RIAS Berlin Kommission vier deutsche Rundfunkjournalisten als Media Fellows an die Duke University, wo sie an Veranstaltungen und Vorlesungen teilnehmen und eigene Research-Projekte und Interessen verfolgen können.