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Amerikas Waffenlobby will Stellung beziehen

Conor Dillon / db19. Dezember 2012

Die US-Waffenlobby NRA hält sich nach dem Amoklauf an der Grundschule in Newtown noch bedeckt. Auf ihrer Internetseite kündigt sie nun an, sich zeitnah zu den Ereignissen zu äußern.

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Zentrale der National Rifle Association (NRA) (Foto: KAREN BLEIER/AFP/Getty Images)
Bild: AFP/Getty Images

Am 1. Mai 1999, nur elf Tage nach dem Massaker an der Columbine High School, das zwölf Schüler und einen Lehrer das Leben kostete, stieg Charlton Heston, Präsident der "Nationalen Schusswaffenvereinigung" National Rifle Association (NRA), auf ein Podium - nur 14 Meilen vom Ort der tödlichen Schüsse entfernt.

"Ich soll nicht hierher kommen?", mokiert sich der 78-Jährige über die Bitte des Bürgermeisters von Denver, die Jahresversammlung der NRA abzusagen. "Wir sind schon da. Diese Gemeinde ist unsere Heimat. Jede Gemeinde in Amerika ist unsere Heimat", meint Heston und fügt hinzu, man gehöre mit der NRA schließlich seit 128 Jahren quasi zum Inventar von "Mainstream Amerika".

NRA-Präsident Charlton Heston (Foto: AP)
Heston: "Sie bekommen meine Pistole nur, wenn sie sie meinen toten, kalten Händen entreißen!"Bild: AP

Mit ihren 4,3 Millionen Mitgliedern - und weiteren 80 Millionen Amerikanern, die Schusswaffen besitzen - hat die NRA Einfluss auf Kultur und Politik des Landes.

Das halb-automatische Sturmgewehr

Hestons Bemerkungen kamen damals in Amerika nicht gut an. Die kritischen Gegenreaktionen fanden ihren Höhepunkt in Michael Moores Dokumentarfilm "Bowling for Columbine", der Ausschnitte aus der Rede zeigt. NRA-Befürworter beschwerten sich daraufhin in Internetforen, Moore habe mit Hestons Rede die NRA falsch dargestellt. Die Botschaft kam aber mehr oder weniger bei der NRA an.

2007, nach dem Amoklauf an der staalichen US-Universität Virginia Tech mit 37 Toten und 17 Verwundeten, gab es keinerlei öffentliche Reaktion. Auch sah man keine Veranlassung, die Website mit ihren aggressiven Argumenten aus einer Rede auf der Jahreshauptversammlung, die drei Tage zuvor stattfand, zu aktualisieren. Schließlich benutzte der Täter in Virginia Pistolen - und die gehören nicht zu den Schusswaffen, deren Besitz in den USA besonders kontrovers diskutiert wird.

Nach Beendigung von Hestons zweiter Amtszeit 2003 übernahm eine Rechtsanwältin das Ruder: die Harvardabsolventin Sandra Froman. Als erstes überredete sie die Mitglieder des Kongresses sowie einen skeptischen Präsidenten Bush, ein zehn Jahre altes Verbot von Sturmgewehren 2004 auslaufen zu lassen.

Virginia Tech Studenten hinter einer Tür (Foto: AP)
Schockierte Studenten an der Virginia TechBild: AP/The Roanoke Times, Matt Gentry

In den vergangenen zehn Jahren ist der Beschluss, diese Waffen zu legalisieren, heftig kritisiert worden. Reine Spitzfindigkeit, meinen Beobachter wie Brian Anse Patrick, 58. "Das Verbot der semi-automatischen Gewehre war pure Kosmetik", erklärt der Professor der Toledo Universität und Autor von 'National Rifle Association in the Media'. "Klar, einige Waffen hatten unterschiedliche Handgriffe. Aber man konnte immer noch die gleiche funktionale AR-15 kaufen".

Beim Amoklauf in einem Kino in Aurora im Bundesstaat Colorado im Sommer 2012 schoss der 24-jährige James Eagan Holmes mit einem Smith & Wesson Sturmgewehr und einer Remington Flinte. Die NRA reagierte dieses Mal mit einem Podcast.

Als eine "unfassbar tragische Schießerei, die das Land heute erschüttert hat", beschrieb die US-Fernsehreporterin Ginny Simone den Amoklauf. Sie schloss ihren Beitrag mit den Worten, "in diesem Moment erzählt die NRA allen Medien, inklusive der NRA Daily News, dass sie sich eines Kommentars enthalten werde, bis alle Fakten in diesem Fall klar sind." Zwölf Tote und 58 Verletzte waren der NRA ganze 35 Sekunden eines Podcasts wert.

Zwei harte Wochen

Vor elf Tagen nun kritisierte Wayne LaPierre, NRA-Vizevorsitzender, in einem Radiointerview die Medien: sie "nutzen diese nationale Tragödie aus, indem sie versuchen, wieder einmal ihre Haltung gegen den zweiten Verfassungszusatz [garantiert den Besitz und das Tragen von Schusswaffen] zu Gehör zu bringen…und versuchen, allen Amerikanern landesweit diese Haltung aufzuzwingen."

LaPierre sprach nicht von den jüngsten Amokläufen, sondern vom NFL Footballspieler Jovan Belcher. Der schoss neunmal auf seine Freundin, floh und beging vor dem Trainingsgelände seines Teams Selbstmord. Die Medien, fuhr LaPierre fort, "sprechen ganz bestimmt nicht von der [sprichwörtlichen] Frau, die einer Vergewaltigung entgeht, weil sie eine Pistole dabei hat."

Das war die letzte öffentliche Stellungnahme der NRA. Seitdem hat ein 22-Jähriger drei Menschen in einem Einkaufszentrum in Oregon erschossen bevor er sich selbst richtete; der 20-jährige Adam Lanza tötete 26 Menschen, 20 davon Kinder, an der Sandy Hook Grundschule; Stunden später gab ein geistesgestörter Mann auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Südkalifornien rund 50 Schüsse ab. Niemand wurde verletzt.

Eine AR-15 Waffe (Foto: dapd)
Adam Lanza benutzte ein AR-15 halbautomatisches SturmgewehrBild: AP

In den vergangenen Tagen hat die NRA ihre Facebook-Seite entfernt, beim Kurznachrichtendienst Twitter wurden keine Nachrichten mehr verbreitet. Interviewanfragen der Deutschen Welle wurden abgelehnt. Auf die DW-Nachfrage, wann die Mediensperre denn aufgehoben werde, hieß es lediglich: "wenn alle Details des Amoklaufs bekannt sind."

"Das ist keine spontane Entscheidung", meint Patrick. "Das ist eine Strategie. Sie werden sehen, in ein oder zwei Wochen geben sie eine Erklärung ab."

Die Zukunft der NRA

Wenn es soweit ist, wird die NRA sicherlich die Stimmung in Washington einkalkulieren. Der republikanische Senator von Iowa, Charles Grassley, hat sich öffentlich für eine Studie zum Thema Schusswaffengewalt und psychische Störungen ausgesprochen. Auch der als Befürworter von Waffen geltende demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, will die Reglementierung von Schusswaffenbesitz thematisieren. Selbst sein Parteikollege Joe Manchin, Mitglied der Waffenlobby NRA und Senator von West Virginia, hat sich für eine Diskussion über das Waffenrecht ausgesprochen.

David Keene
Eine Handvoll Amerikaner meint, man müssse NRA-Präsident David Keene erschießenBild: picture-alliance/Photoshot

Insgesamt hält sich die NRA jedoch bedeckt, eine bedauernde Haltung wird nur eingenommen, wenn Anschläge mit halbautomatischen Sturmgewehren verübt werden. Selbst Sprecher der Lobby scheinen sich damit schwer zu tun, diese Waffen nach einem Massaker zu rechtfertigen.

Wenn es aber um Pistolen, Jagdgewehre oder Flinten geht - die eigentliche Grundausstattung eines amerikanischen Schusswaffenbesitzers, und Waffen, die bei den Massakern an der Columbine High School und der Virginia Tech benutzt wurden - bleibt die Organisation trotzig.

Wie auch immer der nächste Schritt der NRA aussehen mag, Brian Anse Patrick ist sich sicher, dass der Vorfall die Mitgliederzahlen der NRA in die Höhe schnellen lässt. Das sei schon in den 1990er Jahren so gewesen: "Je negativer die Berichterstattung über die NRA, desto mehr Mitglieder hat sie", meint der Professor.