Amnesty: "Es gibt rechtsfreie Räume"
28. September 2016Der Bericht ist auf der Webseite der Organisation zu finden. Amnesty hat darin 74 Fälle von Polizeigewalt und Folter aus dem Jahr 2015 dokumentiert. Seitdem das Militär im Mai 2014 durch einen Putsch die Macht im Land übernommen hat, hat sich die Lage verschärft, wie Yuval Ginbar im Interview sagt.
Deutsche Welle: Sie hatten die Pressekonferenz geplant und angemeldet. Warum konnte sie dennoch nicht stattfinden?
Yuval Ginbar: Der Bericht war schon länger geplant und wir hatten den Behörden vorab einen Entwurf geschickt, um ihnen die Gelegenheit zu geben, Stellung zu beziehen. Schließlich hatten wir das Hotel gebucht, um die Ergebnis auf einer Pressekonferenz zu präsentieren. Der Raum war bereits voll und kurz bevor wir anfangen wollten, kamen Mitarbeiter des Arbeitsministeriums und die Polizei auf uns zu und erklärten, dass es Ausländern nicht gestattet sei, auf der Pressekonferenz zu sprechen. Sie haben nicht gesagt, dass sie die Pressekonferenz unterbinden, sondern nur, dass die Ausländer nicht sprechen dürfen. Als Begründung gaben sie an, dass wir ansonsten thailändisches Arbeitsrecht brächen und mit Verhaftung und Strafverfolgung zu rechnen hätten. Wir hatten einen thailändischen Anwalt bei uns, der uns geraten hat, die Pressekonferenz abzubrechen. Das haben wir auch getan, aber wir haben uns dann in die Lobby des Hotels gesetzt und mit einer ganzen Reihe von Medienvertretern gesprochen. Wir haben den Bericht auch veröffentlicht, allerdings nicht auf die Art und Weise, wie wir das geplant hatten.
Haben die Behörden ihre Bedenken genauer ausgeführt?
Sie haben angedeutet, dass wir, um in Thailand öffentlich sprechen zu dürfen, eine Arbeitserlaubnis brauchen. Wir hatten allerdings nur ein Business Visum, denn unser "Geschäft" ist die Förderung der Menschenrechte. Die thailändischen Behörden wissen natürlich, dass es das ist, was wir tun. Sie sind natürlich auch nicht besonders erpicht darauf, kritisiert zu werden. Es ging also offensichtlich darum, unsere Kritik zu verhindern.
Was haben Sie über Folter und Polizeigewalt in Thailand herausgefunden?
Unser Bericht zeigt, dass Folter in Thailand in ganz verschiedenen Kontexten bedauerlicherweise vorkommt. Wir waren im Süden des Landes, wo es eine Aufstands- und Unabhängigkeitsbewegung gibt und haben dort mit Menschen gesprochen, die von der Armee verhört worden sind. Wir waren auch in Bangkok und anderen Städten, um mit Menschen zu sprechen, die eine politischen Hintergrund haben und verhört worden sind. Wir haben uns auch angeschaut, wie Menschen in Haft behandelt werden. Nicht zuletzt haben wir uns die Situation von Arbeitsmigranten, Drogenabhängigen und ethnischen Minderheiten angesehen. Auch in diesen Fällen gab es Folter, wenn auch nicht so systematisch wie im Süden oder bei politischen Aktivisten.
Das Problem ist, dass das Militär einige Gesetze und Verordnungen erlassen hat, die rechtsfreie Räume schaffen. Die Armee und das Militär können tun und lassen, was sie wollen, und niemand kann sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Es gibt keine Instanz, die die Sicherheitskräfte überwacht. Und in diesen rechtsfreien Räumen findet Folter statt.
Wir haben auch Mängel im Rechtssystem gefunden, wo Untersuchungen durch Richter nicht stattgefunden haben, obwohl es Berichte von Folter gegeben hat. Auf der anderen Seite lassen Richter durchaus Geständnisse zu, die unter der Folter erzwungen wurden.
Nicht zuletzt trägt die Einstellung vieler Thais gegenüber Minderheiten oder sozial ausgegrenzten Gruppen wie Drogenabhängigen dazu bei, dass diese misshandelt werden.
Was kann oder sollte die thailändische Regierung tun?
Der Bericht enthält eine lange und detaillierte Liste mit konkreten Vorschlägen. Wir sind nicht dazu da, zu verurteilen. Wir beraten gerne und freuen uns darüber, mit der Regierung sprechen können, um die Folter zu beenden. Tatsächlich bemühen wir uns um Treffen mit der Regierung. Wir haben mit einigen hochrangigen Polizisten gesprochen und hoffen, noch andere Vertreter der Regierung sprechen zu können. Es geht nicht nur um Verurteilung, sondern darum, die Probleme zu identifizieren und Lösungen zu benennen.
Welche zum Beispiel?
Thailand hat die UN-Konvention gegen Folter unterschrieben. Vor kurzem hat das Land dem UN-Menschenrechtsrat zugesagt, dass es auch die Zusatzprotokolle unterzeichnen wird. Es gibt also positive Entwicklungen. Das sind aber vor allem Ankündigungen.
In unserem Bericht geben wir einfache Hinweise, wie juristische und institutionelle Probleme bewältigt werden können, durch die Folter möglich wird. Dazu gehört die Beendigung von Festnahmen ohne Angaben von Gründen, die Erklärung, dass Folter ein Verbrechen ist, das Ende der Nutzung von Geständnissen, die unter Folter erpresst wurden, und die Aufklärung aller Vorfälle, in denen von Folter berichtet wird. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Nicht zuletzt braucht es eine unabhängige Instanz, die die Gefängnisse überwacht und Opfer juristisch unterstützt.
Yuval Ginbar ist zurzeit in Bangkok. Er hat die Arbeiten zum AI-Bericht über Folter in Thailand geleitet.
Das Interview führte Rodion Ebbighausen.