Amnesty kritisiert NGO-Gesetz in Russland
18. November 2016Vier Jahre nach Inkrafttreten des russischen NGO-Gesetzes hat Amnesty International vor den erheblichen Auswirkungen auf die Gesellschaft gewarnt. "Dieses Gesetz wurde geschaffen, um kritische NGOs zu behindern, zu stigmatisieren und zum Schweigen zu bringen", erklärte die Menschenrechtsorganisation in einem Bericht in Moskau.
Präsident Wladimir Putin hatte kurz nach seiner erneuten Wahl 2012 das Gesetz auf den Weg gebracht, im November 2012 trat es in Kraft. Danach müssen sich Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Hilfe aus dem Ausland erhalten und "politisch aktiv" sind, in Russland als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Auch in Schriftstücken und bei Veranstaltungen muss dieser Hinweis enthalten sein. Betroffen sind internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, aber auch deutsche Einrichtungen wie die Adenauerstiftung. Darüberhinaus dürfen russische NGOs wie etwa die Menschenrechtsgruppe Memorial, nicht mehr von "unerwünschten" ausländischen Partnern - etwa US-Stiftungen - finanziell unterstützt werden.
27 NGOs aufgelöst
Nach Angaben von Amnesty verpflichtete die russische Justiz seit Inkrafttreten des Gesetzes 148 Organisationen zu solch einer Registrierung. Darunter sind Menschenrechtsgruppen ebenso wie Gruppen, die sich für den Umweltschutz oder gegen Aids einsetzen. Inzwischen wurden 27 betroffene NGOs aufgelöst. Mehr als hundert verzeichneten seitdem sinkende Einnahmen. Die Kennzeichnung als "Agent" bedeute zudem eine Rufschädigung, zudem litten Mitarbeiter unter Einschüchterungen.
Es bestehe kein Zweifel daran, dass das Hauptziel der russischen Behörden sei, die Entwicklung einer kritischen Zivilgesellschaft im Keim zu ersticken und sie "durch eine zahme und von der Regierung abhängige Gesellschaft" zu ersetzen, kritisierte die Menschenrechtsorganisation. Sie wies zudem darauf hin, dass der Zusatz "ausländische Agenten" an die Stigmatisierung von Dissidenten in der Sowjetunion erinnere.
Wende für Amnesty-Büro
Derweil gibt es in Moskau immerhin einen Lichtblick. Amnesty International konnte dort sein geschlossenes Büro wieder in Betrieb nehmen. Europa-Direktor John Dalhuisen teilte mit, man habe einen neuen Mietvertrag unterschrieben. Das Büro sei geöffnet. "Back to work", schrieb er auf Twitter.
Die Amnesty-Mitarbeiter hatten am 2. November vor der versiegelten Eingangstür ihres Büros gestanden, dessen Türschlösser ausgetauscht worden waren. Die Stadtverwaltung erklärte zu Begründung, Amnesty sei mit Mietzahlungen in Rückstand geraten. Die Hilfsorganisation bestritt dies. Später erklärte sich die Stadtverwaltung nach dem Treffen eines russischen Menschenrechtsaktivisten mit Präsident Wladimir Putin zu Gesprächen mit Amnesty bereit.
Scharfe Kritik aus Straßburg
Im Juni hatte der Europarat Russland aufgefordert, sein umstrittenes NGO-Gesetz zu reformieren. In der aktuellen Version verletze dieses Gesetz gleich mehrere Grundrechte, stellte die Venedig-Kommission des Europarats in einem Gutachten fest. Dies gelte etwa für das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, aber auch für das Recht auf eine wirksame Einspruchsmöglichkeit gegen Entscheidungen von Behörden.
Der Kommission gehören Verfassungsrechtler aus 60 Ländern an, die sich regelmäßig zu Beratungen in Venedig treffen. Den Juristen zufolge sind zahlreiche Schlüsselbegriffe, auf deren Grundlage eine ausländische NGO als "unerwünscht" erklärt werden kann, in dem sogenannten Agenten-Gesetz zu vage definiert. Dies gebe dem Staatsanwalt, der die Aktivitäten einer Organisation in Russland unterbinden kann, sehr weite Befugnisse.
Die Verfassungsrechtler forderten Russland auf, "konkrete Kriterien" für die Einstufung einer ausländischen NGO oder Stiftung als "unerwünscht" festzulegen. Den betroffenen Organisationen müssten die Gründe für eine solche Entscheidung detailliert dargestellt werden. Vor allem müsse die Entscheidung von einem Richter getroffen werden und nicht von der Staatsanwaltschaft.
kle/uh (afp, rtre, ape)