Amoklauf der Demokratie
21. August 2003Das Hauptproblem von Kalifornien ist sein Budgetdefizit, insgesamt 38 Milliarden Dollar haben sich im Laufe der letzten Jahre angehäuft. Und dieses Problem hat viele Väter. Der offensichtlichste Grund ist die Tatsache, dass viele Steuerzahler aus Silicon Valley vor Jahren ihre hochbezahlten Jobs in der hoffnungslos überschätzten Dot-Com-Industrie verloren haben.
Der amtierende Gouverneur Gray Davis hatte zwar alles versucht, das Problem der fehlenden Steuereinnahmen in den Griff zu bekommen, zum Schluss aber blieb ihm nur eine Möglichkeit, nämlich die Steuern zu erhöhen. Deshalb ist Davis nur neun Monate nach seiner Wiederwahl so unbeliebt geworden, dass er per Referendum sein Amt abgeben soll. Es mag vielen Zeitgenossen nicht verständlich sein, wie ein Landesvater mit solider Parlamentsmehrheit vorzeitig aus dem Amt gedrängt werden kann. Aber so sind nun mal die Gesetze in diesem liberalen Westküstenstaat, und danach hat sich jeder zu richten. Wer will schon offen etwas gegen Plebiszite sagen, sie sind ja schließlich die institutionalisierte Meinung des Volkes.
Volksentscheide geben die Richtung vor...
Die Krux ist nur: Es gibt jede Menge dieser Volksentscheide in Kalifornien, und die meisten segnen zusätzliche Sozialausgaben des Staates ab, also Mehrausgaben für die Gesundheitssysteme, für Schulen, für öffentliche Verkehrsmittel usw. 80 Prozent des gesamten kalifornischen Budgets gehen drauf für diese vom Bürger oder von der Bundesregierung gewollten Programme. Gouverneur und Parlament müssen danach zusehen, wie sie das alles bezahlen. Wie man sich denken kann, sind die Spielräume dafür klein.
Budgetexperten sagen, den Politikern seien gänzlich die Hände gebunden und sehen voraus: Wer auch immer der nächste Gouverneur von Kalifornien wird, er (oder sie) ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Leon Panetta zum Beispiel, der ehemalige Budgetexperte im Weißen Haus unter Bill Clinton, sagte der ‘Washington Post’: "Es besteht kein Zweifel daran, dass die Demokratie hier Amok läuft." Anstatt den gewählten Repräsentanten zu erlauben, über den Haushalt zu entscheiden, so Panetta weiter, hätten die Buerger dies in ihre eigenen Hände genommen.
...und kosten Geld
Ein paar Beispiele für Volksentscheide der letzten Jahre, wie sie die ‚Washington Post’ jetzt zusammen gestellt hat: 1994 hat eine überwältigende Mehrheit das sogenannte "Three-Strikes-And-You’re-Out"-Gesetz befürwortet, das Gewohnheitsverbrecher lebenslang in den Knast befördert, wenn sie dreimal gegen das Gesetz verstoßen, egal gegen welches. Jährliche Mehrkosten für die kalifornischen Gefängnisse: Zwischen 4,5 und 6,5 Milliarden Dollar. Im letzten Jahr zwang ein Volksentscheid die Politik, die Erlöse aus der staatlichen Benzinsteuer ausschließlich in neue Verkehrprojekte zu investieren. Jährlich 1,4 Milliarden Dollar fehlen seither anderswo.
Und mit der Wiederwahl von Gray Davis im November letzten Jahres entschieden die Kalifornier gleichzeitig über staatliche Mehrausgaben in Milliardenhöhe zugunsten von Obdachlosen, einkommensschwachen Senioren, geistig Behinderten und nicht zuletzt zugunsten eines Hortprogramms für Schüler. Letzteres ging übrigens auf eine Initiative von Arnold Schwarzenegger zurück.
Hilft ein ‘finaler Volksentscheid‘?
Der Hollywoodstar will diese After-School-Programme noch ausweiten, wenn er zum Gouverneur gewählt wird. Das soziale Füllhorn, an das die Kalifornier sich so gewöhnt haben, muss jedem Gouverneur zum Verhängnis werden, wenn sich nicht etwas Einschneidendes ändert. Leon Panetta, ein politisches Schlitzohr durch und durch, hat da eine Idee entwickelt. Er will das Plebiszit-System sozusagen mit seinen eigenen Waffen schlagen, und das geht so: Der neue Gouverneur müsste alle Volksinitiativen ignorieren, einen möglichst ausgeglichenen Haushalt präsentieren und diesen Haushalt dann als Gesamtpaket zur Abstimmung stellen – in einem Volksentscheid, versteht sich.