Die Grenze eines Traums
1. November 2014Panmunjom, Demilitarisierte Zone: Ein nordkoreanischer Grenzsoldat tritt an das Fenster der mittleren Baracke, schaut hinein, die Nase fast an der Scheibe. Da taucht ganz nah vor ihm ein Gesicht auf, Brille, weißer Haarschopf. Für einen Moment schauen sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und ein namenloser nordkoreanischer Soldat direkt in die Augen, ganz nah. Dann dreht der Soldat ab.
Die drei berühmten hellblauen Baracken befinden sich in der "Joint Security Zone", der Sicherheitszone zwischen dem kommunistischen Norden und dem demokratischen Süden. Die Gebäude stehen mitten auf der Demarkationslinie. Zwei von ihnen dienen Besprechungen beider Seiten, in die mittlere dürfen Besucherdelegationen. Eine Tür öffnet sich nach Nord-, die andere nach Südkorea.
Innerhalb der Hütte stehen Tische, man kann sich frei bewegen im Raum. Doch die Besuchergruppen von jeder Seite bleiben stets unter sich: Montags und dienstags ist für Besucher aus Nordkorea geschlossen, samstags und sonntags für die aus Südkorea. Für die Delegation des Bundesaußenmisters wird an diesem Samstag eine Ausnahme gemacht.
Vergangene Woche wurde hier geschossen
Die Szenerie erinnert an ein Freilichtmuseum. "Aber vergessen Sie nicht, wir befinden uns an der letzten Konfrontationslinie des Kalten Krieges", erinnert Generalmajor Urs Gerber die Gruppe. Gerber leitet die Schweizer Delegation der neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand.
In dem Gelände an der Demarkationslinie sind mehr als drei Millionen Minen vergraben. 1,2 Millionen Koreaner im Norden stehen unter Waffen, 600.000 im Süden. Vergangene Woche erst gab es einen Schusswechsel. Warnschüsse, keine Verletzten, aber hochgradige Anspannung.
Hier in Panmunjom scheint die Vorstellung eines wiedervereinten Korea abwegig. Und trotzdem ist genau das zentrale Thema der Steinmeier-Reise: Die Deutschen besitzen eine besondere Expertise. "Wir treten hier nicht als Lehrmeister auf", sagt der Bundesaußenminister. "Aber wir berichten gern über das, was hier interessiert, über unser Verhalten in den Jahren der Teilung und in der Zeit kurz vor der Wiedervereinigung."
Gemeinsam mit seinem südkoreanischen Kollegen Yun Byung-Se hat Steinmeier eine Beratergruppe für die außenpolitischen Aspekte der Wiedervereinigung ins Leben gerufen. An diesem Wochenende hat sie das erste Mal getagt. Die deutschen Teilnehmer bringen in den Sitzungen ihre Erfahrungen ein: vom Passierschein, der Familientreffen hinter dem Eisernen Vorhang wieder ermöglichte, über die Entspannungspolitik bis zur Gründung der KSZE, der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa".
Im Rückblick wird deutlich: Entscheidend ist die Kontinuität in der Politik über lange Zeit. Nur kann sich Vertrauen bei den internationalen Spielern aufbauen. In diesem Fall sind die wichtigsten Spieler die Schutzmächte der beiden Koreas, die USA für den Süden, China für den Norden. "Immerhin verschließt sich China Gesprächen über eine Zukunft Nordkoreas nicht mehr. Das ist eine neue Entwicklung", sagt der deutsche Außenminister.
Nordkorea ist nicht die DDR – nur ein bisschen
Das geteilte Deutschland damals und die Situation in Korea heute lassen sich nur begrenzt miteinander vergleichen. Keiner der beiden deutschen Staaten besaß Atomwaffen. Erich Honecker war kein Kim Jong Un. Die DDR war nie so abgeschottet von der Welt wie Nordkorea. Siebzig Jahre Teilung haben nicht nur wirtschaftlich und technologisch sichtbare Unterschiede erzeugt: Der Nordkoreaner ist im Durchschnitt siebeneinhalb Zentimeter kleiner als sein Landsmann im Süden. Verständigen können sie sich kaum noch, so sehr haben sich Sprache und Kultur auseinanderentwickelt.
Aber manches lässt sich doch vergleichen: Ganz langsam hält der technische Fortschritt auch in Nordkorea Einzug, immer mehr Informationen aus China und Südkorea gelangen ins Land. In der DDR damals war es das "West-Fernsehen", das den eingesperrten Bürgern zeigte, wie die Welt draußen wirklich war.