Analytikerin der Alltagskultur
18. Juni 2003"In einer Welt der gefälschten Bilder und der verstümmelten Wahrheiten" so heißt es in der offiziellen Begründung "ist sie für die Würde des freien Denkens eingetreten".
Susan Sontag wurde 1933 in New York geboren. Schon als Kind wollte sie reisen, Europa und die Welt sehen. Die 14jährige war bei Thomas Mann in dessen kalifornischem Exil zum Tee geladen, nachdem sie sich für seinen Roman "Der Zauberberg" begeistert hatte. Ausdruck einer früh erwachten und ihr Leben prägenden Leidenschaft für die deutsche und europäische Kultur. Wie wohl keine andere amerikanische Intellektuelle ist die heute Siebzigjährige mit dem "alten Europa" verbunden, hat in ihren theoretischen und essayistischen Arbeiten zwischen Europa und Amerika vermittelt.
"Kunst und Antikunst"
Tilman Krause, Literaturredakteur bei der überregionalen Tageszeitung "Die Welt", sagt über Sontag: "Sie hat die literarische, die ästhetische Moderne, auch die kinematographische Moderne - die nun mal aus dem alten Europa kommt - dem amerikanischen Publikum erschlossen. Aber gleichzeitig - und das ist das besondere - hat sie wieder auf die europäische Diskussion zurückgewirkt."
Sontag arbeitete über Freud, Kafka, Walter Benjamin und die umstrittene Filmemacherin Leni Riefenstahl. In ihren kultur- und zeitkritischen Essays befasste sie sich mit allen Facetten des 20. Jahrhunderts: mit Fotographie, Kunst, Literatur und Pornographie. Ihr Sammelband "Kunst und Antikunst" ( "Against Interpretation") von 1966 ist heute ein Standardwerk. Sontag ist eine scharfe Analytikerin der Alltagskultur, der Welt der Bilder und ihrer Wirkung.
Die "Intellektuelle" schlechthin
Neben Essays hat Sontag Theaterstücke verfasst, Filme gedreht und Romane geschrieben. Für ihren historischen Roman "In Amerika" wurde sie 2000 mit dem National Book Award ausgezeichnet. Und doch gibt es wohl keinen passenderen Begriff für sie als den der "Intellektuellen". Eine streitbare freilich - und eine kompromisslose Menschenrechtlerin, die viel in der Welt unterwegs ist.
Sie hat sich für den verfolgten Salman Rushdie eingesetzt, hat die Untätigkeit der westlichen Staatengemeinschaft gegenüber den Opfern in Bosnien angeprangert. Sie hat die Besetzungspolitik Israels in Palästina kritisiert und den jüngsten Irak-Krieg verurteilt. Sie gilt gleichermaßen als "Amerikas öffentliches Gewissen" wie unter Konservativen als "Nestbeschmutzerin". So polemisierte sie nach den Terror-Anschlägen des 11. September gegen den Sprachgebrauch der US-Regierung und die amerikanische Vergeltungspolitik. Das Reden vom Kampf "Gut gegen Böse", "Zivilisation gegen Barbarei" war für sie nichts als "scheinheiliger Blödsinn".
Brückenbauende Botschaft
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ehrt jetzt mit Susan Sontag - so wörtlich - "die prominenteste intellektuelle Botschafterin zwischen beiden Kontinenten" Amerika und Europa. Das könnte man als amerika-kritische Geste missverstehen, als Antwort des von Donald Rumsfeld so beschimpften "Alten Europa". Doch der "Friedenspreis" des Deutschen Buchhandels hat wohl eher eine andere, brückenbauende Botschaft. So versteht es auch der Literaturkritiker Tilman Krause: Susan Sontag verwerfe ja nicht den 'American way of Life', so Krause, aber sie fühle sich über nationale Grenzen hinaus dem freien Geist verpflichtet: "Diese Botschaft geht meines Erachtens von der Auszeichnung aus, dass man eben sagt, die Grenzen, die politischen Regime, die Verhältnisse, Herrscher, Machthaber - das ist das eine, aber es muss auch einen spirituellen Kern eines jeden intellektuellen Projekts, eines jeglichen künstlerischen Projekts geben. Und dafür steht sie, und da ist sie auch ganz unbeirrbar".
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist eine international renommierte Auszeichnung, die seit 53 Jahren an Persönlichkeiten vergeben wird, die sich um den Friedensgedanken verdient gemacht haben. Susan Sontag ist die siebte Frau, die den Preis bekommt. Er wird im Oktober im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen.