Anarchisch und bedrückend
1. Oktober 2008Noch heute haut einen Frank Beyers Film "Die Spur der Steine" mit seiner Frische, seinem Witz und seinem Temperament vom Kinosessel. Der Film mit Manfred Krug in der Hauptrolle wurde 1966 nach nur kurzer Spielzeit von den DDR-Behörden aus dem Verkehr gezogen. Zu heikel erschienen den Zensoren die Aussagen des Films, zu anarchistisch und antisozialistisch die Grundtendenz. Erst nach der Wende kam "Die Spur der Steine" regulär in die Kinos und wurde - im Osten wie im Westen - als einer der besten deutschen Nachkriegsfilme gefeiert. Und mit ihm sein Regisseur Frank Beyer, der später auch viel in Westdeutschland arbeitete.
Oscar-Nominierung für die DDR
Der war freilich auch in der BRD schon seit längerem bekannt, galt Beyer doch spätestens seit seiner Literaturverfilmung "Nackt unter Wölfen" als profiliertester lebender Filmregisseur seines Landes. Und Mitte der 1970er Jahre schaffte er sogar ein Kunststück, das keinem anderen Regisseur Ostdeutschlands vergönnt sein sollte. Seine Jurek Becker-Verfilmung "Jakob der Lügner" wurde in Los Angeles für den Oscar nominiert. Unter dem Titel "Die großen Stars der DEFA" sind jetzt vier Filme von Frank Beyer auf DVD erschienen. Außer "Spur der Steine" sind die beiden Frühwerke "Fünf Patronenhülsen" und "Nackt unter Wölfen" sowie "Der Aufenthalt" enthalten.
"Fünf Patronenhülsen" (1959/60)
Beyers Blick auf den spanischen Bürgerkrieg erfüllte zwar die SED-Forderung kommunistische Kämpfer im antifaschistischen Widerstand zu zeigen. Doch Beyer machte aus dem Film mehr als eine trockene Lehrstunde in Sachen Politikrhetorik. Die Suche der fünf republikanischen Soldaten nach ihrem Bataillon gerät zu einem allgemeingültigen Antikriegsfilm: fast wie im Western stellt die Kamera die Protagonisten in die karge spanische Landschaft und formt daraus eine bildkräftige Parabel auf Solidarität und Überlebenskampf.
"Nackt unter Wölfen" (1962)
Auch heute noch ergreifend: die Geschichte eines Häufleins KZ-Insassen, das vor eine schwerwiegende Entscheidung gestellt wird. Was geschieht mit dem kleinen Jungen, der im Koffer nach Buchenwald geschleppt und dort von den Gefangenen versteckt wird? Schützt man das Kind, geraten Lager-Widerstand und Leben in Gefahr. Liefert man das Kind aus, gibt man sich als mitfühlender Mensch auf. Beyers Film verpackt den berühmten Roman von Bruno Apitz in bedrückende Bilder vom Alltag im Konzentrationslager. Eine bittere Lektion in Menschenwürde. Aber auch ein Film der Hoffnung und des Widerstands.
"Spur der Steine" (1965/66)
Manfred Krug gelang mit der Rolle des Brigadiers Hannes Balla auf der Großbaustelle Schkona eine der beeindruckensten Leistungen eines deutschen Schauspielers nach dem Krieg. Doch gerade Krugs/Ballas anarchistischer Habitus sprengte das Vorstellungsvermögen der SED-Oberen. Wenn der Film regulär im Kino gelaufen wäre, hätten sich wohl auch andere DDR-Filmschaffende nicht mehr an die vorgeschriebenen strengen Leitlinien gehalten. Insofern war "Spur der Steine" der reinste Sprengstoff für die DDR. Frank Beyer hat hier ein Meisterwerk für die Ewigkeit geschaffen.
"Der Aufenthalt" (1983)
Ein vergleichbarer unspektakulärer Film von Beyer aus seiner mittleren Schaffensphase. Im letzten Kriegsjahr wird ein deutscher Soldat irrtümlich in ein polnisches Gefängnis gebracht für eine Tat, die er gar nicht begangen hat. Trotzdem ist er natürlich schuldig - als Angehöriger der deutschen Wehrmacht. Beyer stellt in seinem kammerspielartig inszenierten Film existenzielle Fragen nach Schuld und Sühne, Gehorsam und Verantwortung. Der Filmkritiker Hans-Jörg Rother schrieb: "25 Jahre nach der Entstehung des Films mag im öffentlichen Raum hinlänglich geklärt sein, was damals auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Grenze Erregung auslöste - aber auch im privaten Bewußtsein? Ein Selbstversuch mit Frank Beyers 'Aufenthalt' sei empfohlen."
Die Box "Die grossen Stars der DEFA - Frank Beyer" mit den vier Spielfilmen und umfangreichem Bonus-Material ist beim Anbieter "Icestorm" erschienen.