"Den Informationskonsum entschleunigen"
28. Februar 2017Erst denken, dann klicken - das ist das Motto des gemeinnützigen Vereins Mimikama, der mehr als 600.000 Facebook-Fans vor Klickfallen, WhatsApp-Viren, Spam-Mails, Falschmeldungen und Social-Media-Gerüchten warnt. Nach eigenen Angaben hat die österreichische Plattform seit der Gründung vor sechs Jahren im Internet und auf den Sozialen Medien mehr als 10.000 Falschmeldungen widerlegt. PressesprecherAndre Wolf ist einer der beiden hauptberuflichen "Fake-News-Jäger", die von 17 Freiwilligen in ganz Europa unterstützt werden. Zusammen gehen sie nicht nur gegen klassische Hoaxes und andere Formen der Falschmeldungen vor, sondern vermittelt auch Medienkompetenzen.
DW: Wie war Ihre Arbeit bei Mimikama in den vergangenen zwei Jahren in einer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft?
Andre Wolf: Es war durchaus mühsam. In den letzten Jahren ist die Kommunikationskultur in den sozialen Netzwerken tatsächlich wesentlich radikaler und polarisierter geworden. Dementsprechend ist ein Miteinander ganz schwer herzustellen. Viele Menschen zerreißen sich in den Kommentaren einfach nur gegenseitig, kennen nur noch Schwarz und Weiß und versuchen gar keine Kompromisse mehr hinzukriegen. Das zehrt an den Nerven. Umso wichtiger ist es, dann wirklich zu sagen: "Wir müssen wieder an einen Diskussionstisch kommen."
Wie trägt Mimikama dazu bei - es gibt wohl keine Patentlösungen, oder?
Leider nicht. Wir ermutigen Nutzer, sich im Informationskonsum zu entschleunigen: nicht immer nur Überschriften lesen und danach direkt urteilen, sondern sich auch selbst fragen: "Was will mir dieser Text sagen? Wie kommt der Autor darauf? Woher bezieht er seine Informationen?" Und dann wirklich mit denen, die eine andere Ansicht haben, in eine Diskussion treten. Da müssen wir wieder hinkommen: dass wir aufeinander zugehen statt schimpfend voneinander wegzugehen.
Kann man Facebook-User zum Meinungsaustausch animieren oder müssen sie das von alleine machen?
Das ist schwierig. Wir setzen da auf Stetigkeit, sprich immer wieder die gleichen Themen ansprechen und immer wieder darauf hinweisen, dass man im Guten eine Lösung suchen sollte. Wir sehen unsere Inhalte lediglich als Instrumente, die man auf dem Weg zu mehr Austausch nutzen kann.
In einem Interview der Deutschen Welle hat Karolin Schwarz von Hoaxmap.org darauf hingewiesen, dass eine sich zunehmend radikalisierende Minderheit kaum mehr zu erreichen ist.
Ich muss ihr leider zustimmen. Das ist ganz schwierig bis kaum machbar. Wir haben schon längst den Fokus darauf gelegt, die diskussionsfähige Mitte zu halten. Es ist entscheidend, dass man denjenigen Menschen Hilfe leistet, die wirklich Interesse daran haben, zu diskutieren. Wer wirklich ganz vom Tellerrand abrutscht, auf welcher Seite auch immer, dem ist kaum zu helfen. Der Filterblasen-Effekt auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken verstärkt diesen Effekt nur noch.
Können Sie Beispiele nennen, die Sie in den letzten zwei Jahren ermutigt haben?
Ich finde es großartig, dass jeder Einzelne von uns die Möglichkeit hat im Internet und in sozialen Netzwerken vielfältige Information zu empfangen und gleichzeitig selber eine Stimme zu haben. Und so langsam kommt die Justiz und die Polizei mit. In den letzten zwei Jahren hat sich viel getan: 2016 sind zum Beispiel die Twitter-Teams der Berliner und Münchner Polizei mit dem Goldenen Blogger ausgezeichnet worden. Es ist positiv, dass von dort Reaktionen kommen und man weiß, dass der Gesetzgeber das Internet nicht vergessen hat.
Mimikama vermittelt auch Medienkompetenzen. Wie ist es um den Umgang mit dem Internet und Medien im deutschsprachigen Raum bestellt?
Es ist wichtig zu verstehen, wie Mechanismen im Internet funktionieren, zum Beispiel dass Leser weder zwischen Boulevardjournalismus, Kommentaren und Kolumnen unterscheiden können. Auch der Umgang mit Meinungs-Blogs und alternativen Nachrichtenseiten und deren Vorgehensweise sollte man erlernen. In Österreich erstellen wir mit dem Bundesamt für Bildung gerade eine Lehrvideo-Reihe: YouTube-Videos mit didaktischen Inhalten, die in drei bis fünf Minuten Themen wie Persönlichkeitsrechte, Nutzungsrechte und Falschmeldungen erklären. Darauf wird im Anschluss eine Unterrichtsreihe aufbauen. Das kann man natürlich auch für Erwachsene machen. Wir haben beobachtet, dass Leute, die über ein geeignetes Medium auf ein Thema angesprochen werden - in diesem Fall YouTube - darauf anspringen und gerne mitmachen.
Sie empfehlen also, bewährte Kommunikationskanäle und -Methoden zu nutzen und gegen "Fake News" mit Bildung und Erklärvideos vorzugehen?
Sehr richtig erkannt: Wir müssen Menschen da abholen, wo sie sich zuhause fühlen. Mit Videos, die auf einfache Art Politik- und Bildungsthemen ansprechen, bei denen Menschen mitmachen und sich dazu auch eigene Gedanken machen. Auch die Inhalte müssen nutzerfreundlich gestaltet sein. Wir sehen uns in Österreich als Vorreiter, aber auch in Deutschland gibt es Vorbilder wie das Berliner Mesh Collective, das letztes Jahr beim Grimme Online Award einen Preis gewonnen hat.
Wo seid ihr in den letzten zwei Jahren mit eurer Arbeit an eure Grenzen gestoßen? Was muss man vielleicht der Selbstregulierung überlassen?
Wir kommen oft da nicht weiter, wo geografische Grenzen mit Internet-Grenzen nicht mehr übereinstimmen. Viele Inhalte aus dem Ausland werden über ausländische Server verwischt, weshalb man nicht weiß, wer etwas geschrieben oder behauptet hat. Es ist sehr ermüdend, wenn Leute ungestraft weitermachen können. Da muss auch der Gesetzgeber nachkommen: Es muss eine Lösung geben, die zum einen mit dem Datenschutz zusammenspielen kann ohne Bedrängung oder Zensur, aber die trotzdem dafür sorgt, dass diffamierende Inhalte schnell gelöscht werden.
Gibt es Herausforderungen, bei denen sämtliche Maßnahmen zwecklos ist?
Manche Dinge im Netz sind so absurd, da gibt es kein Herankommen. Seit einem halben Jahr gibt es im Internet beispielsweise diese Behauptung, dass in unterirdischen Bunkern Tausende von bewaffneten Muslimen darauf warten, freigelassen zu werden und das Land zu übernehmen. Was bitte soll man da recherchieren? Wer so eine Verschwörungstheorie glaubt, dem kannst du nicht mehr helfen. Bei manchen kannst du ansetzen, weil die Verbreiter es irgendwoher ableiten. Diese Art von Falschinformationen nennen wir "Hybrid-Fake", da wir seit Jahren sehen, dass viele Nachrichten nicht einfach als Fake abzustempeln sind, sondern einen wahren Kern haben. Nur die Geschichte um sie herum stimmt einfach nicht. Diese Mischformen müssen wir analysieren, um herauszufinden, auf was die Geschichte basiert und was der Füllstoff ist. Aber bei der Bunker-Theorie kann man nichts ableiten, weil diese Bunker schlicht nicht existieren. Diesen komplett frei erfundenen und absurden Sachen sollte man deshalb auch keine Bühne geben.
Andre Wolf ist seit 2013 Pressesprecher des "Mimikama-Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch". Nach mehreren Semestern Theologiestudium und einigen Jahren Berufserfahrung als Verantwortlicher für Medien und Kommunikation konzentriert sich der gebürtige Westfale nun auf die Analyse von Internetinhalten, speziell der sozialen Medien. Für seine Factchecking-Verdienste wurden Wolf und Mimikama vergangenes Jahr mit dem "Blogger des Jahres" ausgezeichnet.