Angehörige der NSU-Opfer finden Beate Zschäpe "unerträglich"
4. November 2014Es ist drei Jahre her, dass die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufgedeckt wurde. Drei Jahre, in denen die Angehörigen der Mordopfer nicht nur mit Wut und Trauer über den Verlust umgehen mussten - sie wurden auch immer unzufriedener damit, wie die deutschen Behörden die Verbrechen aufarbeiten. "Ich möchte meinen Kindern, wenn ich welche habe, erklären können, wie und warum ihr Opa sterben musste. Aber so, wie es aussieht, wird es nie herauskommen", sagt Abdulkerim Şimşek, der Sohn des im September 2000 in Nürnberg ermordeten Enver Şimşek.
"Wir tragen eine große Last und möchten die eines Tages ablegen", erklärt Şimşek bei der Vorstellung eines Buches, in dem Anschlagsopfer der NSU und Hinterbliebene der Neonazi-Mordserie über ihre Erfahrungen berichten. Viele schreiben davon, so auch Şimşek, dass ihr Vertrauen in die deutschen Behörden erschüttert ist. Sie sind verbittert über die zweifelhafte Rolle der Geheimdienste angesichts der Verbrechen und ihrer Aufklärung. Sie wollen Klarheit über die Hintergründe - sonst ist für viele Betroffenen ein normales Leben nicht denkbar. "Ich möchte aufhören, ein Opfer zu sein", fordert Gamze Kubaşık, deren Vater in seinem Kiosk in Dortmund getötet wurde.
Mangelhafte Aufklärung der NSU-Morde
Das Buch "Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen" hat die Ombudsfrau für die Opfer und ihre Angehörigen, Barbara John, herausgegeben. John beklagt, dass bei den Sicherheitsbehörden bisher keine Konsequenzen aus den Ermittlungspannen gezogen wurden: "Gegen keinen der mehr als 1000 Beamten, die irgendwie mit den Morden zu tun hatten, ist nach dem Anfangsverdacht ein Strafverfahren aufgenommen worden!" Dabei habe es auf vielen Ebenen in den Behörden Fehler und Versagen gegeben. "Wenn da nicht ein Rentner aufmerksam gewesen wäre, dann würden die drei NSU-Mörder immer noch in ihrem Häuschen in Zwickau sitzen." Es wäre Deutschlands nicht würdig, das auf sich beruhen zu lassen, findet John.
Das Buch beginnt mit einem Vorwort der Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem die CDU-Vorsitzende Aufklärung und Vorbeugung fordert. Das hatte Merkel den Angehörigen schon zuvor fest versprochen. John kann allerdings eher wenig davon erkennen. "Die Haltung der Behörden treibt die Bundeskanzlerin in einen Wortbruch", konstatiert sie. Auch Şimşek erinnert an Merkels Versprechen.
Die drei mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe werden beschuldigt, neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet zu haben. Dabei sollen sie ihre Verbrechen über Jahre hinweg im Untergrund geplant und ausgeführt haben - nahezu unbehelligt von Polizei und Verfassungsschutz und deren bezahlten Spitzeln in der Naziszene. Nach einem Banküberfall wurden Böhnhardt und Mundlos tot aufgefunden, Zschäpe soll den gemeinsamen Unterschlupf in Brand gesetzt haben. Sie selbst steht als einzige Überlebende des Trios vor Gericht. An dem Tag, an dem die Betroffenen ihr Buch vorstellen, fällt die Verhandlung aus, weil sich die Angeklagte krankgemeldet hat.
Ein Buch als Akt der Befreiung
Bei der Buchpräsentation in Berlin zeigten die Autoren sich erleichtert darüber, dass sie ihre Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen können. Es sind 13 eindringliche Schilderungen darüber, wie sie die Anschläge auf sich oder ihre Angehörigen erlebt haben und wie sie mit dem Schock und dem Verlust umgegangen sind. "Hiermit können sich jetzt viele Menschen in uns hineinversetzen und mitfühlen", hofft Abdulkerim Şimşek. Viele Hinterbliebene schildern sehr direkt, wie demütigend die Ermittler sie behandelt haben, weil sie glaubten, die Getöteten seien in kriminelle Machenschaften verwickelt und trügen eine Mitschuld an ihrer Ermordnung. Das hat das Vertrauen in die deutschen Institutionen zerrüttet. Dennoch ist bei vielen der Autoren auch eine starke Verbundenheit zu ihrer Heimat Deutschland zu spüren. "Ich freue mich, dass dieses Buch an den Schulen verwendet werden wird, denn es kann jeden treffen", meint Gamze Kubaşık.
Unzufrieden zeigten sich die Anghörigen der Mordopfer mit dem NSU-Prozess in München. "Wir haben uns da lückenlose Aufklärung gewünscht, aber die bekommen wir leider nicht", sagt Kubaşık. Angewidert äußert sie sich über die Angeklagte Beate Zschäpe. "Wenn ich jemandem erklären müsste, was ein 'Unmensch' ist, dann wäre sie mein Beispiel." Enttäuscht ist auch Şimşek: "Es ist furchtbar zu sehen, wie die Angeklagte Zschäpe dort ihre Show abzieht. Sie ist unerträglich!", kritisiert er. Die trägen Mühlen der Justiz irritieren Mustafa Turgut, dessen Bruder Mehmet 2004 in einem Rostocker Imbiss umgebracht wurde. Er ist Nebenkläger in dem Verfahren und hat für dessen Dauer ein Bleiberecht in Deutschland. "Warum dauert das so lange?", fragt er. Sein Bild des Landes, in dem die rassistischen Verbrechen geschehen sind, trübt das jedoch nicht gänzlich. Wenn alles vorbei ist, möchte Mustafa Turgut am liebsten hier bleiben und "die Träume meines Bruders verwirklichen".