16 Kanzlerinnenjahre
Seit 2005 ist Angela Merkel Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Vier Regierungen hat sie seitdem geführt. Und sie ist heute beliebter denn je. Stationen einer Kanzlerschaft, die bald zu Ende geht.
Nicht mehr Kohls "Mädchen"
Bundeskanzler Helmut Kohl hatte Merkel einst paternalistisch das "Mädchen" genannt und sie zwei Mal zur Ministerin gemacht. Aus seinem Schatten war sie hier, 2001, schon längst herausgetreten, als die CDU in der Opposition und Merkel Parteichefin war. Aber ihre große Stunde sollte erst 2005 kommen.
Knapper Wahlsieg
Bundestagswahl 2005: Der Wahlsieg der Union aus CDU und CSU gegenüber der SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder war äußerst knapp. Die CDU mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel hatte außerdem das schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren. Keine guten Bedingungen für den Start der neuen Kanzlerin. Aber sie fasst schnell Tritt.
Die neue Kanzlerin
Schließlich tun sich Union und SPD zu einer großen Koalition zusammen. Schröder gratuliert der frischgebackenen Kanzlerin Angela Merkel, die am 22. November 2005 im Bundestag zur ersten Frau, zur jüngsten Amtsinhaberin, zur ersten Ostdeutschen und zur ersten Naturwissenschaftlerin in dieses Amt gewählt wird.
Entspannte Gastgeberin
Merkel gewinnt schnell Souveränität. Beim G8-Gipfel 2007 empfängt sie die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten und Russlands im Ostseebad Heiligendamm und scherzt mit US-Präsident George Bush (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin. Geopolitisch ist es eine weitaus heilere Welt als heute.
Farbenspiele
Auf die Blazerfarbe kommt es an. Die Farbe ihrer Hosen bleibt meist dunkel. Was sich ändert, ist der Blazer. Kenner meinen aufgrund dieser Farbe sagen zu können, in welcher Stimmung die Kanzlerin gerade ist oder welche Botschaft sie gerade vermitteln will.
Ach, diese großen Jungs!
Europapolitik im Herbst 2008: Angela Merkel hat für zwei Machos der europäischen Bühne, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (vorn) und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, nur ein mildes Lächeln übrig. Dabei ist sie es, die hier beim Beginn der Finanzkrise sehr schnell zur unangefochtenen Nummer eins in der EU aufsteigt.
Helfer oder Zuchtmeister?
Die Schulden vieler europäischer Staaten steigen immer mehr, der Euro gerät in Gefahr. Merkel stimmt umfangreichen Hilfen zu, verlangt aber im Gegenzug Sparmaßnahmen in den betroffenen Ländern. Das weckt vor allem in Griechenland bittere Erinnerungen. Griechische Zeitungen ziehen Parallelen zur deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Keine Volkstribunin
Sie ist eine nur mäßig begabte Rednerin. Das Bad in der Menge liegt ihr nicht besonders. Sie wirkt oft spröde, erklärt ihre Politik zu wenig. Doch ihre nüchtern-pragmatische und bescheidene Art kommt bei vielen an. Sonst würde sie heute nicht die vierte Regierung führen.
Mutti
Irgendwann wird sie Mutti genannt. Nicht die Mutter, sondern die Mutti der Nation. Das ist ein wenig spöttisch, oder auch liebevoll - und altmodisch: Mutti sagt heute kein Kind mehr. Die Mutti kümmert sich, bei ihr braucht man keine Angst zu haben. Die Kehrseite: Unter Mutti bleiben die Kinder immer Kinder. Nicht jedem gefällt das.
"Wir schaffen das"
Vielleicht kein anderer Satz von ihr hat so polarisiert wie "Wir schaffen das". Als sie 2015/16 die Grenzen für Flüchtlinge und Migranten offenhält, wird sie von den einen fast wie eine Heilige verehrt, von anderen heftig kritisiert. Die Spaltung in der Bewertung ihrer Flüchtlingspolitik hält bis heute an.
"Person des Jahres" 2015
Das Magazin "Time" kürt Merkel 2015 zur "Person des Jahres", gar zur "Kanzlerin der freien Welt" für ihre Führungsstärke in schwierigen Situationen - von der Staatsschulden- bis zur Flüchtlingskrise.
Frauen unter sich
Sie ist die erste Frau im Kanzleramt. Zwar hat sie daraus nie ein großes Thema ihrer Politik gemacht. Trotzdem haben einige Frauen auch dank Merkels Förderung eine steile Karriere hingelegt, seien es (v. l.) Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU-Vorsitzende und dann Verteidigungsministerin), Ursula von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin) oder Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin).
Staatsräson
Merkel ist diskret. Was sie politisch oder persönlich von schwierigen Staats- und Regierungschefs hält, darüber schweigt sie, gibt höchstens sehr verklausuliert Meinungen von sich. Der Umgang mit ihnen folgt der Staatsräson.
Eitelkeit ist ihr fremd
Sie weiß, was ein Liter Milch kostet. Abgehoben ist Angela Merkel auch nach Jahren als Regierungschefin nicht. Zwar besucht sie hier 2014 zusammen mit ihrem chinesischen Staatsgast Li Keqiang einen Berliner Supermarkt. Sie wurde aber auch schon allein, sozusagen als Hausfrau, beim Einkaufen gesehen.
Die Raute des Vertrauens
Nicht ganz klar ist, woher Merkel ihre berühmte Handhaltung hat. Sie selbst sagt, die Raute helfe ihr, den Oberkörper gerade zu halten. Eine weitergehende Botschaft liege nicht darin. CDU-Parteistrategen haben jedenfalls die Raute im Bundestagswahlkampf 2013 auf diesem übergroßen Plakat eingesetzt, um Vertrauen und Ruhe zu vermitteln.
Merkel privat
Kaum etwas ist von Merkels Privatleben bekannt. Sie gibt wenig davon preis, vielleicht interessiert es die Leute auch nicht besonders. Man weiß zum Beispiel, dass Merkel und ihr Mann Joachim Sauer, Physiker wie sie, über Jahre Ostern auf der italienischen Insel Ischia verbringen. Während der Hochzeit der Pandemie ging das allerdings nicht.
Und dann kam Corona
Corona hat vieles verändert in Deutschland, nicht nur die Urlaubsrituale der Kanzlerin. Merkels ernste, teilweise ungewohnt emotionale Art dabei wurde teilweise kritisiert. Doch ihr Umgang mit der Pandemie hat ihr auch neue Beliebtheitsrekorde eingebracht.
Nahender Abschied
Sie hatte schon Jahre vor der Bundestagswahl 2021 bekanntgegeben, dass sie nicht wieder kandidieren werde. Jetzt ist sie nur noch geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung steht und ein neuer Bundeskanzler gewählt ist. Ist sie Mitte Dezember noch kommissarisch im Amt, hätte sie den bisherigen Rekordhalter Helmut Kohl knapp überholt.