Angespannte Ruhe in Kiew
11. Dezember 2013Tausende regierungskritische Demonstranten boten am Morgen vorrückenden Polizeieinheiten die Stirn: Sie wehrten sich mit Knüppeln und spritzten aus dem besetzten Rathaus heraus mit Wasser, bis sich die Sicherheitskräfte zurückzogen. Das Gebäude bleibt vorerst in der Hand der Oppositionsanhänger.
"Keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten"
Die Regierung sendet derweil Zeichen der Deeskalation. Es werde keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten geben, kündigte Regierungschef Nikolai Asarow an. Gewaltfreiheit soll auch für den zentralen Maidan-Platz gelten, wo die Polizei in der Nacht Barrikaden der Demonstranten niedergerissen hat. "Ich möchte alle beruhigen – der Maidan wird nicht erstürmt", sagte Asarow.
Während die Polizei Einheiten von dem Unabhängigkeitsplatz im Herzen Kiews abzog, strömten erneut Tausende von Demonstranten dort hin, um den Rücktritt der Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch zu fordern. Besucht wurden sie am Vormittag von der Europabeauftragten der US-Regierung, Victoria Nuland, die sich ebenso wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zu Gesprächen mit der Regierung und der Opposition in Kiew aufhält.
Weiter internationale Kritik an Vorgehen gegen Opposition
International war das gewaltsame Vorgehen von Janukowitschs Regierung gegen Oppositionsanhänger in den vergangenen Tagen auf scharfe Kritik gestoßen. Polen berief am Mittwoch den ukrainischen Botschafter in Warschau ein. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte in einer Stellungnahme an die Regierung in Kiew, jede Form der Gewalt zu unterlassen.
20 Milliarden für das Assoziierungsabkommen
Unterdessen fordert die Ukraine von der Europäischen Union Hilfskredite in Milliardenhöhe. Mit Blick auf das gestoppte Assoziierungsabkommen mit der EU sagte Ministerpräsident Asarow bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung in Kiew, "diese Angelegenheit" könne "durch das Angebot von finanzieller Unterstützung an die Ukraine gelöst werden". Die "ungefähre Größenordnung" liege bei 20 Milliarden Euro. "Wir wollen Bedingungen schaffen, um die Verluste für die ukrainische Wirtschaft zu verringern".
"Mit dieser Forderung scheint die ukrainische Führung von ihrer alleinigen Verantwortung für die aktuelle Lage ablenken zu wollen", erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter vor der Hauptstadtpresse in Berlin. Deutschland und die EU wollten das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine weiterhin unterzeichnen. "Die Tür bleibt offen." Die damit einhergehende Steigerung des Handels würde der Ukraine wirtschaftlich langfristig helfen. Die Ukraine sei außerdem seit Jahren in Kontakt mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Wenn die dort genannten Voraussetzungen, wie etwa Flexibilisierung des Währungskurses oder Abbau der Gas-Subventionen, umgesetzt würden, könnte der Fonds Hilfen ermöglichen. Dann wäre die EU auch in der Lage, die Ukraine mit einer Makrofinanzhilfe zu unterstützen, so der Regierungssprecher.
Auf wiederholte Nachfrage, ob die Bundesregierung im Falle einer anhaltenden Eskalation über mögliche Schritte wie Sanktionen oder eine Einberufung des Botschafters nachdenke, wollten weder Streiter noch ein Sprecher des Auswärtigen Amtes eingehen. "Die ganze Botschaft, die wir hier versuchen auszusenden ist, dass sich alle Seiten um Deeskalation bemühen sollten", erklärte der Regierungssprecher. Man wolle über eine möglichst friedliche Regelung sprechen und nicht über Sanktionen. Die Regierung appellierte noch einmal an alle Seiten, zu einem Dialog zusammenzukommen.
Gespräche in Brüssel und Moskau
Die Ukraine hatte vor großen Problemen etwa für den wichtigen Agrarsektor gewarnt, falls Unternehmen aus der EU freien Marktzugang erhielten. Die Regierung will am Mittwoch eine Delegation nach Brüssel schicken; eine weitere Abordnung soll zeitgleich zu Gesprächen nach Moskau reisen.
Präsident Viktor Janukowitsch hatte unter dem Druck Moskaus Ende November die Vorbereitungen für das Abkommen überraschend gestoppt und damit Massenproteste ausgelöst. Die Opposition verlangt seinen Rücktritt, weil er das Land nicht wie gefordert zum Westen öffne, sondern stärker an Russland binde.
dh/nc/sti (afp, rtr, dpa)