Angst vor einem französischen "Non"
29. Mai 2005Knapp wird's - mit einem Trend zum "Nein". Nach den letzten Umfragen haben die Verfassungsgegner immer noch die Nase vorn. Wenn dieses Szenario eintrifft, dann würde dies eine politische Krise auslösen. Dies gilt zumindest für die Politiker, die Europas Zukunft in verstärkter Integration und Vergemeinschaftung sehen. Unmittelbare Folgen für das alltägliche Geschäft in Brüssel sieht EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso aber nicht: "Niemand kann von der Europäischen Union, vom Ministerrat oder der Kommission erwarten, anzuhalten und auf das letzte Referendum zu warten. Die Entscheidungen werden weiter gefällt werden - natürlich mit Rücksicht auf
bestimmte politische Empfindlichkeiten."
Bereits kurz nach der Volksabstimmung in Frankreich wollen sich die Staats- und Regierungschefs im Juni auf den Finanzrahmen bis 2014 einigen. An den Entscheidungen,
Rumänien und Bulgarien aufzunehmen und mit der Türkei Beitrittsverhandlungen zu beginnen, würde sich formal nichts ändern. Doch der Elan wäre vermutlich verschwunden. Darauf hofft der europaskeptische Abgeordnete Nigel Farage von der britisch-nationalistischen Unabhängigkeits-Partei im Europaparlament: "Das Ergebnis eines französischen Neins zur Verfassung wäre eine Art Pause auf dem gesamten Kontinent."
Keine zweite Chance
Die Verfassung, die jahrelang von einem Konvent und nationalen Regierungen zäh ausgehandelt wurde, sollte Europa führbarer machen. Der Text wäre nach einem französischen "Nein" tot. Es könnte keine Nachbesserungen, keinen zweiten Anlauf geben. Davon gehen die EU-Experten in den Brüssler Denkfabriken aus. Präsident Jacques Chirac warnt, dass ein "Nein" seiner Landsleute, vor allem Frankreich zum Stillstand zwingt, während Europa weiter marschiert: "Es ist klar, dass Frankreich mit schweren Konsequenzen rechnen müsste, sollte es heute den Aufbau Europas blockieren. Es würde einen großen Teil seines Einflusses verlieren, den es in Europa braucht."
Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sieht keine zweite Chance für die Verfassung. Einen "Plan B" habe auch niemand in der Tasche. Vermutlich würden einzelne Elemente der Verfassung, wie zum Beispiel der gemeinsame Außenminister, vom Europäischen Rat verwirklicht werden. Für viele Politikfelder müssten sich aber "Koalitionen von Willigen" bilden. Die 25 Mitgliedsstaaten würden in Gruppen unterschiedlicher Geschwindigkeit zerfallen. Das malte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits Ende 2003 aus. Damals drohte die Verfassung am Veto Polens zu scheitern: "Deutschland wird dafür arbeiten, dass das nicht passiert, aber auch bereit sein, mit anderen das zu machen, was man verstärkte Zusammenarbeit nennt."
Keine Ende der Zitterpartie
Wirtschaftlich hätte ein frühes Scheitern der Verfassung vermutlich keine Auswirkungen, schrieb Holger Schmieding von der Bank of America in der Financial Times. Die Gemeinschaftswährung EURO werde ein "Nein" aus Frankreich schadlos überstehen. Grundlage für die Geldpolitik bleibt dann einfach der Vertrag von Maastricht.
Sollten die Franzosen die Verfassung billigen, müsste sie im Frühjahr 2006 eine wahrscheinlich noch größere Hürde nehmen. Dann sind die traditionell europa-kritischen Briten zur Abstimmung aufgerufen. In Deutschland wird die Verfassung nach der Zustimmung des Bundesrates ratifiziert. Dann muss nur noch Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift leisten. Die will er aber solange zurückhalten, bis das Bundesverfassungsgericht über eine Klage gegen die EU-Verfassung entschieden haben wird.