Anis Amri viel intensiver überwacht als bekannt
17. Dezember 2017Polizei und Geheimdienste haben den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" (WamS) viel früher und intensiver überwacht als bislang bekannt. Dies gehe aus Tausenden Akten, Dutzenden V-Mann-Berichten und den Protokollen von Telefon- und Internetüberwachungen hervor, die dem Blatt nach eigenen Angaben vorliegen.
Seit November 2015 von V-Mann überwacht
Spätestens seit November 2015 ließ die Bundesanwaltschaft demnach Amri vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen durch einen V-Mann der Polizei gezielt überwachen. Dies sei Teil der verdeckten Ermittlungen gegen die mutmaßliche IS-Terrorzelle des Hildesheimer Hasspredigers Abdullah Abdullah gewesen, der unter seinem Decknamen "Abu Walaa" bekannt ist und laut Medienberichten mit Amri in Kontakt stand.
Bereits am 24. November 2015, also mehr als ein Jahr vor dem Anschlag auf den Breitscheidplatz, meldete der auf Amri angesetzte V-Mann "Murat" konkrete Anschlagspläne des Tunesiers an das LKA Düsseldorf, wie es in dem Bericht der WamS heißt. Diese seien - wie alle weiteren Erkenntnisse - von dort an BKA, Generalbundesanwalt und das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergereicht worden.
Anschlagspläne schon seit Dezember 2015
Spätestens seit dem 3. Dezember 2015 seien deshalb die häufig wechselnden Mobiltelefone Amris abgehört und seine Internetverbindungen überwacht worden. Mitte Dezember 2015 soll Amri mit seinem rund um die Uhr überwachten Smartphone detaillierte Anleitungen zum Mischen von Sprengstoff sowie zum Bau von Bomben und Handgranaten heruntergeladen haben.
Weiter heißt es, spätestens ab Februar 2016 habe Amri mit dem abgehörten Handy mit zwei Kadern der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) in Libyen telefoniert und sich als Selbstmordattentäter für einen Anschlag in Deutschland angeboten.
Starke Beteiligung deutscher Nachrichtendienste
Die WamS berichtet außerdem über Behörden-Mails und Akten, die eine starke Beteiligung deutscher Nachrichtendienste belegen. So habe der Verfassungsschutz bereits im Januar 2016 eine zweiseitige Analyse zu Amri verfasst, die von Behördenchef Hans-Georg Maaßen selbst unterschrieben wurde. Sein Bundesamt hatte laut dem Blatt für Amri sogar eine eigene Sachbearbeiterin eingesetzt, die Agentin F. in Berlin.
Die Recherchen sollen laut der Zeitung zudem belegen, dass Amri schon vor seiner Ankunft in Italien im April 2011 über enge persönliche und sogar familiäre Verbindungen zu Kämpfern und Führungskadern des IS in Libyen verfügte.
Auch internationale Geheimdienste in den Fall verwickelt
Der Grund, warum Amri trotz all dieser Erkenntnisse nicht vor dem Anschlag verhaftet wurde, geht laut WamS aus den ihr vorliegenden Akten nicht hervor. Allerdings legten die mehrmonatigen Recherchen eine Verwicklung auch internationaler Geheimdienste nahe. Diese dürften in Amri einen "Lockvogel" gesehen haben, der sie zu seinen Hintermännern, den Anschlagsplanern in Libyen, führen sollte.
Weiter berichtet das Blatt, dass wenige Wochen nach dem Anschlag und Amris Tod B2-Tarnkappenbomber der USA am 19. Januar 2017 exakt jenes IS-Wüstencamp in Libyen angegriffen hätten, in dem die Hintermänner des Attentats vom Weihnachtsmarkt vermutet wurden.
Ströbele: "Riesen-Skandal"
Hans-Christian Ströbele, damals Mitglied des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, vermutet deshalb die "ordnende Hand" eines US-Geheimdienstes oder des US-Militärs hinter der "ansonsten unerklärlichen" Nicht-Festnahme Amris, wie er sagte. Für Ströbele ist es ein "Riesen-Skandal", dass die Bundesregierung die zugesagte Aufklärung der Hintergründe auch ein Jahr nach dem Anschlag noch nicht geliefert habe.
Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem Laster in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Bei dem bislang schwersten islamistischen Anschlag in Deutschland hierzulande waren zwölf Menschen getötet und annähernd 100 verletzt worden. Amri wurde später auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen.
ww/jj (dpa, AFP)