Anklage will jahrelange Haft für Nawalny
1. Februar 2021Dem russischen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny drohen nach Angaben seines Anwalts zweieinhalb Jahre Gefängnis. An diesem Dienstag soll über einen Antrag der Strafvollzugsbehörde (FSIN) entschieden werden, die existierende Bewährungs- in eine Haftstrafe umzuwandeln. Zur Begründung hieß es, Nawalny habe gegen Auflagen eines Urteils von 2014 verstoßen. Damals war er unter dem Vorwurf der Unterschlagung zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt worden.
Nun soll die Bewährung zurückgezogen werden. Da Nawalny einen Teil der Strafe bereits im Hausarrest abgesessen hat, blieben noch zweieinhalb Jahre übrig, teilte sein Anwalt mit. Unmittelbar vor der Gerichtsanhörung erklärte die Staatsanwaltschaft, das Ansinnen sei "legal und berechtigt".
Nach Giftanschlag hinter Gitter
Der 44-Jährige war unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland Mitte Januar festgenommen worden. Zuvor hatte er sich in der Bundesrepublik von den Folgen eines Giftanschlags in Sibirien erholt, für den er den russischen Präsidenten Wladimir Putin verantwortlich macht. Die Behörden beschuldigen ihn, er sei während dieser Zeit nicht seiner Pflicht nachgekommen, sich zweimal monatlich bei der Polizei zu melden.
Zunächst war Nawalny in einem Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Gegen seine Festnahme gingen an den vergangenen Wochenenden in ganz Russland Zehntausende Menschen auf die Straße. Die Polizei schritt mit großer Härte ein und nahm allein am Sonntag mehr als 5100 Kundgebungsteilnehmer in Gewahrsam, wie das Menschenrechtsportal OWD-Info mitteilte.
"Nicht einmal der Schein wird gewahrt"
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kritisierte das Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf. Die Festnahmen und die Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten seien eine "eklatante Missachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der russischen Verfassung", erklärte die SPD-Politikerin. Die staatliche Führung wahre "nicht einmal mehr den Schein von Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Demokratie". Statt Nawalny und dessen Unterstützer weiter zu verfolgen, müssten "endlich strafrechtliche Ermittlungen beginnen, um das Giftattentat auf ihn aufzuklären", verlangte die Ministerin.
Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, sagte der Deutschen Welle, vor dem Hintergrund der Bilder aus russischen Großstädten sei kaum vorstellbar, dass die für den Herbst angesetzten Parlamentswahlen frei und demokratisch abliefen. Offensichtlich habe die Opposition "keine Möglichkeit, sich zu artikulieren".
Russland verletze "alle Regeln des Europarats", in dem es selbst Mitglied sei. Die Europäische Union sollte nun geschlossen auftreten, so Hardt. Allerdings müsse man dabei im Hinterkopf haben: "Wir wollen nicht das russische Volk treffen, etwa mit Sanktionen, sondern wir wollen, dass Putin und seine Führungsmannschaft im Kreml ihre Verhaltensweise ändern."
"Kein Gespräch mit Hooligans und Provokateuren"
Trotz der Massenfestnahmen hält der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell an einem geplanten Besuch in Russland fest. Bei seinen Begegnungen in Moskau in der zweiten Wochenhälfte wolle Borrell auch über Nawalny reden, erklärte ein Sprecher. Zudem bemühe sich die EU um ein persönliches Treffen mit dem inhaftierten Kreml-Kritiker. Zuvor hatte Borrell auf Twitter die "unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt" gegen Demonstranten und Journalisten verurteilt.
Russlands Präsident zeigt sich weiterhin unbeugsam und lehnt jeden Dialog mit Nawalnys Anhängern ab. "Es kann kein Gespräch mit Hooligans und Provokateuren geben", sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow vor Journalisten. Vielmehr müsse man mit der "vollen Härte des Gesetzes" reagieren.
Seit diesem Montag sind soziale Netzwerke in Russland verpflichtet, Informationen über nicht genehmigte Demonstrationen zu suchen und zu blockieren. Auch Inhalte über Staatsgeheimnisse und Terrorismus sollen nicht mehr aufgerufen werden können - ebenso wie Anleitungen zur Herstellung von Drogen, kinderpornographisches Material, Aufrufe zum Suizid und Äußerungen, die die russische Verfassung missachten.
jj/wa (dpa, afp, rtr, DW)