Kramp-Karrenbauer schwimmt sich frei
11. März 2019Die mögliche Nachfolgerin von Angela Merkel als deutsche Kanzlerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, tut gerade das, was manche Beobachter von ihr erwartet haben: Die seit Dezember amtierende neue Parteivorsitzende sendet Signale an das, von ihrer Partei zuletzt etwas vernachlässigte konservativere Wählerklientel.
Zum Aschermittwoch machte sie einen Witz über Intersexuelle - und wollte sich trotz lauter Kritik nicht dafür entschuldigen. Der nächste Vorstoß von AKK, wie die Vorsitzende der Christdemokraten (CDU) auch genannt wird, ließ nicht lange auf sich warten. Am Wochenende antwortet sie auf den, im Tonfall dramatischen Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit einem eigenen EU-Papier. Darin schlägt sie einen explizit sachlichen, anti-populistischen Ton an. Es gehe nicht darum, "'für' oder 'gegen' Europa zu sein" - die Frage stelle sich für die meisten Bürger gar nicht. Stattdessen müsse darüber gestritten werden, "wie die EU künftig zu den großen Fragen handlungsfähig werden kann". Die Bürger vermissten Klarheit und Orientierung.
AKK sendet strategische Signale
Macrons Plänen, neue EU-Behörden aufzubauen und weiter zu zentralisieren, setzte AKK ein Stopp-Zeichen entgegen. Europa müsse auf "Subsidiarität und die Eigenverantwortung der Nationalstaaten setzen", aber gleichzeitig "im gemeinsamen Interesse handlungsfähig sein". Sie sprach sich gegen "europäischen Zentralismus und Etatismus" aus, gegen die "Vergemeinschaftung von Schulden oder eine Europäisierung der Sozialsysteme" und auch gegen "einen gemeinsamen Mindestlohn".
Auffällig zeitnah kam von der Werte-Union, einem Zusammenschluss des rechten CDU-Flügels, eine interessante Aufforderung. Es wäre das Beste, wenn Merkel bald abtreten und die Kanzlerschaft an AKK übergeben würde, sagte der Vorsitzende Alexander Mitsch. Die Werte-Union verstand sich als Anti-Merkel-Flügel der CDU. Die Parteinahme für AKK kommt dennoch überraschend - und zeigt eine Wiederannäherung.
Neue Verbündete in der CDU
Die gesamte CDU bereitet sich auf die Nach-Merkel-Ära vor und sortiert sich neu.
Ein "Opfer" von Merkel war Norbert Röttgen, der - was in Deutschland sehr selten passiert - von Merkel im Jahr 2012 als Bundesminister entlassen wurde. Nun könnte sein Revival anstehen. Auf jeden Fall reagiert er auf Macron im selben Tonfall wie AKK. Dieser liefere ein "Sammelsurium an Überschriften" und wolle eine EU, die "für fast alle Bereiche zuständig" sei. "Wir brauchen keine neuen Agenturen, Institutionen und Räte", so Röttgen.
Kritik an AKK kam vor allem von den Grünen, einem möglichen Koalitionspartner der CDU - sollte die jetzige Große Koalition mit CSU und SPD vorzeitig platzen. AKK "verpasst eine Chance", kritisierte der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter. "Anstatt die EU mit neuen Leben zu füllen, blockiert sie." AKK fehle "Mut und Wille".
Umfassender noch fiel die Kritik des Grünen-Chefs, Robert Habeck, aus: AKK habe "im Grunde die Idee einer europäischen Demokratie aufgegeben". Stattdessen wolle sie parallel eine "Achse der Nationalstaaten" und falle damit hinter die Idee einer schrittweisen europäischen Einigung zurück.
Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der Unionsfraktion von CDU und CSU im Bundestag, verteidigte AKK gegen die Kritik der Grünen in einem TV-Interview. Deutlicher noch als AKK kritisierte er Macrons Tonfall: Es gehe nicht darum, in "großen Worten" Vorschläge zu machen, sondern "konkrete Sachen" umzusetzen. "Umsetzen ist immer kleines Karo, das ist nicht Flughöhe zehntausend Meter." Dass Deutschland Macron "auflaufen" lasse, sei ein "Irrtum". Es sei schon viel passiert und es gebe "ganz viele Dinge, die wir teilen".
CDU und CSU - die Schwesterparteien nähern sich wieder an
Von der bayerischen Schwesterpartei CSU, mit der sich die CDU im vergangenen Sommer noch heftig wegen der Flüchtlingspolitik gestritten hatte, kamen zustimmende Worte. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte, AKK habe recht damit, eine gemeinsame Sozialpolitik in der EU abzulehnen.
Ganz generell dürfte die Ausrichtung von AKK in der CSU auf eine gute Resonanz treffen. Schließlich setzt sie in der Europa-Politik einen Fokus auf eine starke Migrations- und Sicherheitspolitik, was von der CSU seit längerem gefordert wird.
Am Montag ging die begonnene Wiederannäherung dann auch gleich weiter. Nach der Ausweisung von deutschen Journalisten aus der Türkei hatte der Spitzenkandidat für die Europa-Wahl, Manfred Weber, betont, hier zeige sich erneut, dass "die Türkei nicht in die EU" passe. AKK pflichtete dem bei - und stellte sogleich die Sinnhaftigkeit einer weiteren Annäherungspolitik infrage.
Strategische Signale auch in Richtung AfD
Der mit den Vorstößen von Macron und AKK begonnene Wahlkampf für die EU-Wahl im Mai wird in Deutschland vom Wahlkampf in drei ostdeutschen Bundesländern überschattet. Im Herbst drohen der CDU dort Machteinbußen zugunsten der "Alternative für Deutschland" (AfD).
Die Rechtspopulisten fahren in ihrem Wahlprogramm für die EU-Wahl einen klaren Kurs gegen Zentralisierung und für eine Stärkung der Nationalstaaten. Das alles wird überschrieben mit beißender Kritik an den EU-Eliten. So versucht die AfD, nach der Flüchtlingskrise ein neues Thema zu besetzen.
AKK aber will sich das Thema offenbar nicht wegnehmen lassen. Die AfD sieht schon ihre Felle wegschwimmen. AKKs "Absage an EU-Zentralismus sei "unglaubwürdig", schrieb die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel. Der Aachener Vertrag beschreibe einen anderen Weg. Würde AKK es ernst meinen, müsse sie den Ausstieg aus dem Euro angehen.
SPD: Absage an AKK als Kanzlerin
Vom anderen Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, kamen mahnende Worte. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Bundesjustizministerin Katarina Barley, findet es "unangemessen", dass nicht Bundeskanzlerin Merkel auf den Vorstoß Macrons reagiert habe, sondern AKK. Inhaltlicher antwortete Bundesaußenminister Heiko Maas: Vom europäischen Mindestlohn als Ziel dürfe es keine Abkehr geben.
Insgesamt scheint die SPD mit AKK nicht so ganz zufrieden zu sein. Sollte AKK vor Ablauf der Legislaturperiode 2021 ins Kanzleramt einziehen, wäre die Koalition frühzeitig am Ende, drohten SPD-Politiker am Wochenende.