Maler und Provokateur
18. Oktober 2008Er geht nicht nur an Schriftsteller oder Wissenschaftler, sondern allgemein an Menschen, die sich auf dem Gebiet der Literatur, Kunst oder Wissenschaft für den Friedensgedanken einsetzen: der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, der wichtigste kulturpolitische Preis Deutschlands für internationale Persönlichkeiten. Anselm Kiefer ist nun der erste Maler, der die seit 1950 verliehene Auszeichnung bekommt. Kiefer erhalte den Preis, weil er ein weltweit anerkannter Künstler sei, der seine Zeit mit der "störenden moralischen Botschaften vom Vergänglichen" konfrontiere, sagt die Jury.
Kiefer wird im März 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Donaueschingen geboren. Bomben fallen auf die Stadt im Schwarzwald. Seine Eltern stecken ihm Keller eines Krankenhauses Wachs in die Ohren, damit er den Lärm draußen nicht hört. Er wächst auf zwischen Trümmern, doch er hat sie nie als etwas Negatives empfunden. Sie sind ein Zustand des Umschwungs und der Veränderung, sagt er, Trümmer sind Zukunft.
Den Wahnsinn verstehen
Mit 24 Jahren geht Kiefer auf eine Reise quer durch Europa. Er fotografiert sich selbst im Wehrmachtsmantel, die Hand erhoben zum Hitlergruß. "Besetzungen" nannte er diese Fotoserie. Eine Provokation, für die er heftige Kritik erntete. Seine Erklärung: Er wollte "einen Schritt mitgehen, um den Wahnsinn zu verstehen".
Anfang der 1970er Jahre ist Kiefer des Öfteren bei Joseph Beuys zu Besuch. Wie er verwendet auch Kiefer für seine Arbeiten ungewöhnliche Materialien, darunter Glas, Holz, Stoff und sogar Pflanzenteile. Seine Bilder sind geprägt von einem dicken Farbaufstrich, den er durch Feuer oder Axthiebe manipuliert. Ein bewusster Akt. "Meine Sachen ändern sich andauernd", sagt der Künstler. "Da fällt die Farbe runter, die sind dem Regen ausgesetzt - ich mache keine Monumente."
Leitmotiv NS
Kaum ein Künstler entfesselte in den letzten Jahrzehnten solche Kontroversen wie Anselm Kiefer. In seinem gesamten Schaffen setzt er sich mit der Vergangenheit auseinander und berührt Tabu- und Reizthemen der jüngeren Geschichte, insbesondere das Thema der NS-Herrschaft. "Der Mensch ist ein Wesen, das abgrundtief böse sein kann", sagt er. Die Kultur könne sich weiter entwickeln, aber der Abgrund bleibe.
Ende der 1980er Jahre feiert ihn das "Time-Magazine" in New York ihn als "besten Künstler seiner Generation auf beiden Seiten des Atlantiks". Für seine Werke werden auf dem Kunstmarkt zu dem Zeitpunkt bereits Millionen gezahlt. Dabei war die Malerei gar nicht unbedingt das, was er als erstes angestrebt hat. "Literatur ist für mich der Bezug zum Leben überhaupt. In der Dichtung ist das Leben konzentriert, ist die Welt konzentriert. Ich wäre gerne Dichter geworden. Jetzt bin ich Maler geworden."
Kiefers Werke befinden sich heute in Sammlungen auf der ganzen Welt, viele von ihnen im öffentlichen Raum. 2007 gab es eine riesige Anselm-Kiefer-Schau in Paris, die erste, die jemals einem lebenden deutschen Künstler im Grand Palais gewidmet wurde.