"Balkanischer Frühling" vor der Tür
17. März 2019"Wir wollen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bloß helfen, sein eigenes Motto zu verwirklichen: Euer Recht, alles zu wissen", brüllte Boško Obradović ins Megafon. Die Kulisse für den Auftritt des Präsidenten der rechtsnationalen serbischen Partei "Dveri" war eher ungewöhnlich - mitten im Gebäude des nationalen Senders RTS.
Obradović drängte sich zusammen mit anderen Oppositionspolitikern und rund fünfzig Demonstranten am Samstag in das Gebäude im Zentrum von Belgrad, während draußen noch Hunderte Menschen demonstrierten. Erst Stunden später gelang es der Bereitschaftspolizei, sie aus dem Gebäude zu drängen. Es gab Bilder vereinzelter Schläge gegen Demonstranten, doch die Lage eskalierte nicht weiter.
Der Zeitpunkt der Blitzaktion war symbolisch - um 19:30 Uhr laufen die Abendnachrichten in RTS, die traditionell hohe Einschaltquoten haben. Aber das Millionenpublikum bekommt dort nur selten, wenn überhaupt, von Protesten in über 90 serbischen Städten etwas zu sehen. Seit Dezember gehen Zehntausende auf die Straßen gegen die "Diktatur", für den Rechtsstaat, Medienfreiheit und freie Wahlen.
Vučić gibt sich kämpferisch
"Ich fürchte mich nicht. Ich kann nur mein Leben verlieren. Ich werde weiter für Serbien kämpfen, das ist das Wichtigste", antwortete Serbiens starker Mann Aleksandar Vučić in gewohnt melodramatischem Ton. Der Präsident bezeichnete die oppositionellen Politiker als "Schläger" und "Faschisten", die mit Gewalt an die Macht wollten.
Während er am Sonntag auf einer Pressekonferenz auftrat, umzingelten tausende Menschen den Präsidentenpalast und protestierten laut mit Musik, Trillerpfeifen und Rufen gegen Vučić. Die Demonstranten durchbrachen eine Polizeikette, um den LKW mit den Lautsprechern neben das Gebäude zu bringen. Es gab gewaltsame Auseinandersetzungen. "Wie man sieht, die Lage ändert sich rasant", sagte der linke Oppositionspolitiker Borko Stefanović dem DW-Reporter vor Ort.
Ursprünglich wollten sich Menschen aus dem ganzen Land erst am 13. April in Belgrad zu einer Großkundgebung versammeln, aber es könnte auch schneller gehen. "Hoffentlich ist bei dieser Regierung etwas Vernunft geblieben und hoffentlich werden unsere Forderungen schnell erfüllt", so Stefanović. Ein Angriff auf den Politiker wurde im Dezember zum Auslöser der Proteste. Zusammen mit zwei Kollegen wurde Stefanović vor einer Veranstaltung von Männern zusammengeschlagen, denen Nähe zur Regierung nachgesagt wird.
Opposition formiert sich
Obwohl sich viele Demonstranten noch weigern, eine konkrete oppositionelle Gruppierung zu unterstützen, etabliert sich allmählich das "Bündnis für Serbien" als führende Kraft der Proteste. Dem Bündnis gehört eine bunte Mischung an - von Nationalisten über Bürgerliche bis hin zu linken Politikern.
Die Massenproteste sind bisher die größte Herausforderung für Vučić, der seit sieben Jahren das Balkanland mit harter Hand regiert. Die Liste der Vorwürfe gegen ihn ist lang: Vetternwirtschaft, Verflechtungen mit der organisierten Kriminalität und Klientelpolitik für Mitglieder seiner Fortschrittspartei. Jeder zehnte von sieben Million Bürgern ist Mitglied der Partei - das Parteibuch gilt als Eintrittskarte für Arbeitsplätze und ist Garant für Wahlgeschenke.
Vučić zersplitterte die politische Konkurrenz auch durch eine Gleichschaltung der Medienlandschaft. Außer einem Kabelsender und ein paar auflageschwachen Wochenzeitungen umschmeicheln die Mainstream-Medien ihren Präsidenten abwechselnd mit Lob und Jagd auf seine Kritiker.
Proteste auch in Berlin
"Offenbar ist Vučić zutiefst verärgert, dass die Proteste so lange dauern", sagt der Belgrader Politikwissenschaftler Boban Stojanović. Vor allem müsse der Präsident aufpassen, keine Bilder von Polizeigewalt zu liefern. Das würde den Demonstranten einen Opfer-Status verleihen und die Situation könnte außer Kontrolle geraten. "Wenn die Opposition aber den Druck weiter erhöht, könnte das endlich zur Befreiung der Medien, mehr Demokratie und hoffentlich freien Wahlen führen", so Stojanović im DW-Interview.
Der frühere nationalistische Falke Vučić weist alle Vorwürfe von sich. Er will sein Land in die EU führen, viele trauen ihm gar die Beilegung des jahrzehntealten Konflikts mit der einstigen serbischen Südprovinz Kosovo zu, die Belgrad noch nicht als unabhängigen Staat anerkennt hat. Eine gängige These in Serbien: Mit seiner Nachgiebigkeit gegenüber Kosovo erkaufe sich Vučić das Schweigen der EU zur Repression innerhalb des Landes.
Um auf diese Verbindung aufmerksam zu machen, wurde am Samstag zum ersten Mal auch in Berlin demonstriert. Rund fünfzig Menschen versammelten sich bei Regen am Alexanderplatz, um die Landesleute zuhause zu unterstützen. "Wir wollen, dass die Bürger Berlins ihre politische Vertreter fragen, warum sie ein autokratisches Regime in Serbien unterstützen", sagte Ljubica Šljukić Tucakov der DW. Die junge Sprachwissenschaftlerin lebt seit sechs Monaten in der deutschen Hauptstadt und hat die Proteste mitorganisiert. In Berlin, wie in Belgrad wollen die Menschen weiter demonstrieren.
Auf dem Westbalkan brodelt es gerade an vielen Stellen. Auch in Albanien, Montenegro und der serbischen Teilrepublik in Bosnien gehen Tausende auf die Straßen, um mehr Demokratie zu fordern. Erste Beobachter sprechen schon von einem "Balkanischen Frühling".