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Appetit auf Alstom

Detlev Karg17. Mai 2004

Der marode Mischkonzern Alstom könnte ein neuer Testfall für europäische Industriepolitik werden. Beim Aventis-Deal durfte Paris sich freuen. Nun hat der deutsche Konkurrent Siemens Interesse an Alstom.

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Alstom-Chef Patrick Kron kann sich gar nicht für die fällige Zerschlagung erwärmenBild: AP

Interessant wird nun sein, ob die Deutschen vielleicht in Frankreich zuschlagen dürfen. Dort steht mit Alstom ein klassischer Industrie-Dino schon seit langer Zeit auf der Kippe. Kraftwerke, Eisenbahnen, Schiffsbau, inklusive Atom- und Rüstungstechnologie von Weltruf gehören zum Programm. Die Energiesparte etwa würde hervorragend zu den Münchnern passen.

Pleitegeier umkreist das Vorzeigeunternehmen

Kleinere Bereiche wie die Stromverteilung und Industrieturbinen von Alstom wurden bereits verkauft. Nun stehen größere Sahnestücke zum Verkauf an, um einen Teil des Konzerns zu retten. Alstom kam durch die Krankheit vieler Mischkonzerne ins Trudeln, bei denen defizitäre Sparten die Gewinne anderer Bereiche auffressen. Das spiegelt sich nicht zuletzt im Aktienkurs, der Anfang 2002 aus einem Bereich um 18-20 Euro abstürzte und seither zwischen 1 und 2 Euro pendelt. 2003 sah es plötzlich ganz düster aus. Der französische Staat, der Alstom auf jeden Fall als Mischkonzern erhalten wollte, trug damals 800 Millionen Euro zu einer Finanzhilfe von 3,2 Milliarden Euro bei. Der Rest stammt von den Banken. 2003 kam Alstom bei 21,3 Milliarden Euro Umsatz auf einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro. Die Verschuldung liegt derzeit bei fünf Milliarden Euro und steigt rapide.

Rettungsplan mit Hilfe der Deutschen

Tour de France Atomkraftwerk
Bild: AP

Der staatliche französische Nuklearkonzern Areva und der Elektronikkonzern Siemens haben der französischen Regierung mittlerweile einen Plan zur Neustrukturierung des angeschlagenen Maschinenbaukonzerns vorgelegt. Damit würde auch ein französischer Partner ins Boot geholt, was nicht nur den Pariser Interessen entspräche, sondern vielleicht auch Brüssel besänftigen könnte. Denn Brüssel will nach der Finanzspritze von 2003 eine Sanierung. Hintergrund ist, dass kaputte Unternehmen nicht mit staatlicher Hilfe über Wasser gehalten werden, wie das in vielen Ländern noch der Fall ist.

Französischer Nationalstolz als Hindernis

Frankreichs Finanzminster Nicolas Sarkozy war lange gegen Verkäufe von Alstom-Teilen und konnte sich mit Wettbewerbskommissar Mario Monti nicht einigen. Gleiches galt stets für Regierungsschef Jean-Pierre Raffarin. Monti freilich besteht auf der Sanierung. Auch die finanzierenden Banken BNP Paribas und Crédit Agricole wollen kein Geld mehr nachschießen. Sie würden es lieber sehen, wenn Alstom an ein starkes Unternehmen ginge. Das könnte eben Siemens sein. Dem stehen freilich auch wieder Wettbewerbsbedenken gegenüber. Hier stehen die Politiker in Europa in der Bredouille, gegebenenfalls Monopole in Europa zu schaffen, mit allen Nachteilen.

Doch nur so können global die "Player" entstehen, von denen Gerhard Schröder kürzlich sprach. Und da weiß er sich mit seinem seit 2003 besten Freund Jacques Chirac einig. Europäische "Champions" wollen die beiden schaffen. Da hat Alstom-Chef Patrick Kron, der noch im April vollmundig eine Zerschlagung ausschloss, bald nicht mehr viel zu sagen. Beizeiten wird er seinen Hut nehmen müssen.

Die Schulden wachsen täglich

Die Zeit drängt. Die Frist der Gläubigerbanken zur Neuverhandlung des Rettungspakets im Umfang von 3,2 Milliarden Euro läuft im September aus. Der Plan von Areva und Siemens wurde der französischen Regierung bereits im April vorgelegt. Areva würde die Transportsparte von Alstom übernehmen. Markenzeichen: Der Hochgeschwindigkeitszug TGV. Damit ist Alstom weltweit führend. Siemens würde die Energiesparte übernehmen. Im Kraftwerksbau würde Siemens damit einen guten Schritt vorankommen.

Widerstand nur noch ein Feigenblatt?

Medienberichten zufolge hat Frankreich insgeheim seinen Widerstand gegen einen Einstieg von Siemens und Areva bei Alstom bereits aufgegeben. Ohne deren Einstieg droht bald die Zahlungsunfähigkeit. Zunächst geht es um Beteiligungen mit der Option der Übernahme dieser Sparten.

Scheitern könnte der Plan allerdings noch an den USA, da Siemens mit Alstom nahe an den derzeitigen Marktführer im Turbinengeschäft, General Electric, heran käme. Das Veto der US-Wettbewerbshüter steht noch aus.

Queen Mary 2
Bild: AP

Vielleicht wird Alstom also als reiner Schifffahrtskonzern enden. Zum Programm gehören Flugzeugträger - und Kreuzfahrtschiffe: Die Queen Mary 2 wurde auf der Alstom-Werft in Saint-Nazaire gebaut.