Arabischer Frühling im Sudan?
12. Juli 2012Es sind die gleichen Gesänge, die im vergangenen Jahr aus Ägypten und Tunesien zu hören waren: "Das Volk will das System stürzen", ruft eine Gruppe junger Studenten in Sudans Hauptstadt Khartum. Zu sehen sind sie in einem der unzähligen Internetvideos aus dem Land. Mitte Juni hatte die Regierung umfangreiche Sparmaßnahmen beschlossen, stellte unter anderem die Subventionen von Treibstoff und Zucker ein. Die Preise explodierten – und trieben zunächst Studenten auf die Straße.
Die Demonstranten wurden von Polizisten mit Tränengas und Knüppeln attackiert, berichtet Zahra Haydar. "Das ist die brutalste Reaktion der Behörden seit der Machtergreifung Omar al-Baschirs 1989", sagte die 40-Jährige Aktivistin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie hat selbst friedlich an zwei Demonstrationen teilgenommen und vermutet, dass sich mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation im Land bald noch mehr Menschen den Protesten anschließen werden.
Weniger Rückhalt in der Bevölkerung
Soziale und ökonomische Missstände – das sehen die meisten Beobachter als Ursache der Proteste, die mittlerweile über die Grenzen der Hauptstadt hinausgehen. Dagegen spiele die mangelnde Freiheit in dem autoritären System von Präsident Baschir eher eine untergeordnete Rolle. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sucht Omar al-Baschir per Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen in Darfur.
Jetzt gerät der Machthaber auch im Land selbst unter Druck, sagt Peter Schumann, der ehemalige Direktor der UN-Mission im Sudan. "Ich glaube, Präsident Baschir verliert gerade an Macht und Rückhalt in der Bevölkerung, denn er ist in einer ausweglosen Situation gefangen“, so Schumann. "Der Südsudan ist seit einem Jahr unabhängig und er hat noch immer keine Lösung für die dadurch entstandenen massiven Budgetprobleme."
Leere Kassen seit der Abspaltung
Eine Lösung der finanziellen Probleme des Sudans ist derzeit auch noch nicht in Sicht. Der Südsudan weigert sich, sein Erdöl durch die Pipelines des Nordens zu transportieren, weil Khartum dafür zu hohe Gebühren verlangt. Falls die Einnahmen wegbleiben, könnte al-Bashir möglicherweise bald nicht mehr die Gehälter der Soldaten in seiner Armee finanzieren.
Trotzdem bestehe aktuell keine große Gefahr für einen Putsch, meint Florian Daehne von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum. Und auch für die Demonstranten sieht er kaum Erfolgsaussichten, da Proteste von einigen hundert Personen noch lange keine Massenbewegung seien. Es scheine den Sicherheitskräften zu gelingen mit brutaler Effizienz, die Proteste sehr gering zu halten, so Daehne. Es sei bereits zu massenhaften Festnahmen von Aktivisten und Oppositionellen gekommen. "Daher erwarte ich in naher Zukunft in Khartum keine Zustände, wie wir sie zum Beispiel auf dem Tahrir-Platz gesehen haben."
Die Demonstranten wollen trotzdem weitermachen – ermutigt von den Erfahrungen aus der Vergangenheit: 1964 und 1985 haben ebenfalls Studenten aus Khartum die Proteste begonnen – und diese führten zum Sturz der damaligen Militärregierungen.