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Arm trotz Arbeit

6. Juli 2017

Deutschland freut sich über einen flexiblen und boomenden Arbeitsmarkt. Die Kehrseite der Medaille: In zehn Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die trotz Erwerbsarbeit arm sind, verdoppelt.

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Putzfrau wischt Boden Symbolbild zur Illustration Thema Zweitjob
Bild: Fotolia/apops

Die Erwerbsarmut in Deutschland ist einer Studie zufolge stärker gestiegen als in anderen EU-Ländern. Zwischen 2004 und 2014 habe sich der Anteil der Beschäftigten, die trotz regelmäßiger Arbeit als arm gelten, auf 9,6 Prozent oder rund 3,7 Millionen Menschen verdoppelt. Das hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. "Das hängt auch damit zusammen, dass Arbeitslose stärker unter Druck stehen, eine schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen", heißt es zur Begründung. Mehr Arbeit sei keine Garantie für weniger Armut.

Der Anteil der armen oder armutsgefährdeten Erwerbstätigen in der EU betrug 2014 im Schnitt ebenfalls knapp zehn Prozent. Obwohl sie regelmäßig arbeiten, müssen sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in ihrem Land auskommen. Wer in Deutschland als Alleinstehender weniger als 869 Euro netto im Monat verdiente, galt zuletzt als armutsgefährdet. Bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Schwelle bei 1826 Euro.

Mehr Jobs - schlechter bezahlt

Die positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt beruht den Forschern zufolge zu einem großen Teil auf einer Zunahme atypischer Beschäftigung - vor allem Teilzeit, häufig im Dienstleistungsbereich und im Niedriglohnsektor. Deregulierungen des Arbeitsmarktes, die Kürzung von Transferleistungen und verschärfte Zumutbarkeitsregelungen hätten diese Entwicklung beschleunigt.

"Maßnahmen, die Arbeitslose dazu zwingen, Jobs mit schlechter Bezahlung oder niedrigem Stundenumfang anzunehmen, können dazu führen, dass die Erwerbsarmut steigt, weil aus arbeitslosen armen Haushalten erwerbstätige arme Haushalte werden", betonen die Ökonomen.

Qualifikation verbessern

Der gesetzliche Mindestlohn sei ein erster Schritt zur Reduzierung der Armutsgefährdung. Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation und Weiterbildung sollten ausgebaut und für Beschäftigte im Niedriglohnbereich geöffnet werden, empfehlen die Wissenschaftler. Auch sollten Hartz-IV-Leistungen erhöht, Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln entschärft werden.

"Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine Kombination aus investiver aktiver Arbeitsmarktpolitik und auskömmlichen Lohnersatz- und Sozialleistungen der beste Weg ist, um Erwerbsarmut zu bekämpfen", schreiben die Forscher. Demnach seien Strategien, die dem Leitbild eines fördernden Wohlfahrtsstaates entsprechen, der erfolgversprechendste Ansatz zur Bekämpfung von Erwerbsarmut.

Für Deutschland bedeute dies, Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation und Weiterbildung auszubauen und auch für atypisch oder im Niedriglohnbereich Beschäftigte zugänglich zu machen. Zudem müsse die Arbeitsvermittlung verstärkt auf eine nachhaltige und qualifikationsgerechte Vermittlung von Erwerbslosen ausgerichtet werden. Darüber hinaus sollten die Zumutbarkeitsregeln im Hartz-IV-System entschärft werden. Und schließlich müsse sichergestellt werden, dass Lohnersatzleistungen und Hartz-IV-Leistungen Armut wirksam verhindern.

wen/zdh (rtrd, WSI)