Aserbaidschan: Ausgebremstes Wirtschaftswunder
11. April 2018Orkhan Jafarov macht keinen Hehl aus seinem Stolz. Jafarov ist der stellvertretende Direktor der "Azerikimya Produktionseinheit" in Sumquayit, einer Industriestadt im Osten Aserbaidschans. Die Fabrik hat sich auf die Herstellung von Plastik spezialisiert. Pro Jahr werden hier alleine 125.000 Tonnen Polypropylen hergestellt, ein Standardkunststoff, der häufig in Verpackungen verwendet wird. Im Gespräch mit der DW schwärmt Jafarov von den Zukunftsaussichten für seine Firma: "Seitdem wir 2010 Teil des Staatskonzern SOCAR geworden sind haben wir unsere Einrichtungen Schritt für Schritt erneuert. Durch die Modernisierung unserer Anlagen werden auch unsere Produkte besser. Wir planen, Polypropylen und andere Kunststoffe in Zukunft auch für den Weltmarkt zu produzieren."
Große Pläne für die Zukunft
Modernisierte Industrieanlagen wie die "Azerikimya Produktionseinheit" in Sumqayit, angepasst an internationale Standards und ausgerichtet auf einen globalen Markt, sind nicht die einzigen Großprojekte, mit der die aserbaidschanische Regierung die Wirtschaft fit machen will für die Zukunft: Die Tourismusbranche des Landes soll gestärkt werden, die Landwirtschaft soll produktiver werden. Im Zuge eines milliardenschweren Förderprojektes im Kaspischen Meer sollen ab 2020 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr in die EU transportiert werden.
Rasante Entwicklung nach der Unabhängigkeit
Eine knappe Stunde Autofahrt von Sumqayit entfernt empfängt Ilham Shaban in einem modernen Bürogebäude im Geschäftsviertel von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Shaban ist der Direktor von "Caspian Barrel", einem Forschungsinstitut, das sich auf Energiethemen rund um das Kaspische Meer spezialisiert hat. Er ist begeistert wie sich das junge Land seit der Unabhängigkeit entwickelt hat:
"Während der Sowjetunion gab es in Aserbaidschan neben Baku und Sumqayit keine industrialisierten, modernen Städte. Seit der Unabhängigkeit 1991, vor allem aber in den vergangenen 15 Jahren, konnte sich das gesamte Land modernisieren. Und das liegt vor allem an den riesigen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft."
In der Tat: Das Land erlebte in den Jahren des Erdölbooms ein regelrechtes Wirtschaftswunder. Zwischen 2000 und 2010 wuchs die Wirtschaft jährlich im Durchschnitt um über 15 Prozent. Der Anteil der Armen in der Bevölkerung fiel laut einer Studie von Transparency International von knapp 50 Prozent im Jahr 2001 auf weniger als 16 Prozent im Jahr 2008.
Präsident Ilham Alijew, der das Amt 2003 von seinem Vater Heydar Alijew übernommen hatte und dessen Familie 2016, laut Panama Papers, Verbindungen in nahezu jeden Bereich der aserbaidschanischen Wirtschaft hatte, schien alles richtig zu machen.
Skepsis bei Experten
Tobias Baumann ist der Leiter der Außenhandelskammer in der Aserbaidschan. Trotz der Vielzahl an angekündigten Projekten und dem fulminanten Start der Wirtschaft des Landes zu Beginn der 2000'er Jahre ist er im Gespräch mit der DW mehr als skeptisch was das Entwicklungspotential der Wirtschaft des Landes betrifft.
"Jenseits des Öl- und Gassektors ist die aserbaidschanische Wirtschaft wenig diversifiziert. Vor allem die Exportwirtschaft ist wenig diversifiziert. Man hat bisher wenig konkurrenzfähige, oder weltmarktfähige Produkte aus Aserbaidschan."
Baumanns Analyse hat einen Grund: Zu lange hatte man sich in Aserbaidschan auf natürliche Ressourcen wie Öl und Gas verlassen. Vor wenigen Jahren rächte sich das: Im Jahr 2014 halbierte sich der weltweite Ölpreis innerhalb kürzester Zeit. Aserbaidschan wurde hart getroffen, die Landeswährung Manat in der Folge zweimal entwertet. Seitdem kommt die Wirtschaft des Landes nicht mehr auf die Beine.
Laut Angaben der Weltbank halbierte sich alleine das Bruttoinlandsprodukt von rund 60 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf knapp 30 Milliarden Euro im Jahr 2016. Auch im Außenhandel ist die Krise spürbar: Alleine im Jahr 2016 sind die deutschen Importe um 26 Prozent eingebrochen. Der Handelsvolumen der deutschen Exporte ist in den vergangenen Jahren, laut Informationen der Außenhandelskammer in Aserbaidschan, von knapp 900 Millionen Euro pro Jahr auf knapp 300 Millionen Euro pro Jahr zurückgegangen."
Die Krise als Chance
Für Ilham Shaban vom Forschungsinstitut Caspian Barrel kommen die jetzigen Wirtschaftsprojekte in allerletzter Minute. Gegenüber der DW sieht er darin eine dringende wirtschaftspolitische Notwendigkeit. "Die aserbaidschanische Regierung weiß, dass sie niemals an die Einnahmen aus der Vergangenheit herankommen wird. Noch vor wenigen Jahren haben wir pro Jahr 20 Milliarden Dollar im Öl- und Gassektor verdient." Solche Einnahmen, so der Experte weiter, seien für die nächsten zehn Jahre nicht realistisch.
Shaban ist Optimist. In der Krise sieht er sogar eine Chance: "Während des Öl-Booms hat sich Aserbaidschan nicht geöffnet, hat sich vom Rest der Welt abgekapselt. Die Krise hat dazu geführt, dass man begriffen hat, dass man sich öffnen muss. Der niedrige Ölpreis hat also auch Vorteile: Er zwingt die Regierung regelrecht, den Markt – und das Land – zu öffnen und Wettbewerb im Land zuzulassen.
Nur auf diese Weise, so der Experte bei der Verabschiedung, könne das Land auf Dauer "überleben".