Aserbaidschan nimmt Ex-Präsidenten von Berg-Karabach fest
5. Oktober 2023Aserbaidschan hat die Festnahme des früheren Präsidenten der kürzlich eroberten Kaukasusregion Berg-Karabach bekannt gegeben. Arajik Harutjunjan sei bereits am Dienstag wegen des Vorwurfs der "Führung eines Angriffskriegs" gegen Aserbaidschan und mutmaßlicher Kriegsverbrechen festgenommen worden, erklärten der aserbaidschanische Generalstaatsanwalt und der Sicherheitsdienst in einer gemeinsamen Mitteilung.
Harutjunjan stand 2020 während des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Kontrolle von Berg-Karabach an der Spitze der dortigen selbsternannten Regierung. Kurz vor der Militäroffensive Aserbaidschans war der 49-Jährige im September zurückgetreten.
Pro-armenisches Führungspersonal im Visier
Die aserbaidschanischen Behörden hatten nach eigenen Angaben bereits mehrere führende Politiker der Region festnehmen lassen, darunter den Anführer der pro-armenischen Kräfte in Berg-Karabach, Ruben Wardanjan. Am Mittwoch erklärte das armenische Außenministerium, Eriwan werde "alles unternehmen, um die Rechte der unrechtmäßig verhafteten Vertreter Berg-Karabachs zu schützen, auch vor internationalen Gerichten".
Die Führung in Baku hatte die Militäroffensive vor zwei Wochen gestartet. Bereits einen Tag später kapitulierten die pro-armenischen Kämpfer in Berg-Karabach. Später wurde die Auflösung der selbsternannten Republik zum 1. Januar 2024 verkündet. Seit der Kapitulation sind fast alle der vormals rund 120.000 armenischen Bewohner der Region nach Armenien geflohen.
EU-Parlament: "Ethnische Säuberung"
Das EU-Parlament wirft Aserbaidschan eine "ethnische Säuberung" in Berg-Karabach vor und verlangt Strafmaßnahmen gegen Baku. Für eine entsprechende Resolution stimmte eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten. Das Parlament in Straßburg "verurteilt die Bedrohung und die Gewalt durch aserbaidschanische Truppen scharf", heißt es in dem Text. Die militärische Attacke stelle einen massiven Völkerrechtsverstoß dar. Eine Untersuchung müsse klären, ob dabei auch Kriegsverbrechen begangen wurden.
Die Abgeordneten riefen die EU-Staaten dazu auf, "gezielte Sanktionen gegen Personen in der aserbaidschanischen Regierung" wegen des Angriffs zu verhängen. Die EU müsse zudem ihre Abhängigkeit von Gasimporten aus Aserbaidschan reduzieren und ihre Beziehungen zu Baku auf den Prüfstand stellen.
Für die Resolution stimmten 491 der Abgeordneten, es gab neun Gegenstimmen. Die Entscheidung des Europaparlaments ist allerdings nicht bindend. Nach Diplomatenangaben ziehen die EU-Staaten bislang keine Sanktionen gegen Aserbaidschan in Betracht.
Die EU bezieht seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine verstärkt Gas aus Aserbaidschan. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte im vergangenen Jahr eine "strategische Partnerschaft" mit der Regierung in Baku unterzeichnet. Im Rahmen der Zusammenarbeit will die EU ihre Gasimporte aus Baku bis 2027 verdoppeln. Der Kaukasusstaat wird seit 20 Jahren vom autoritären Staatschef Ilham Alijew regiert.
EU unterstützt Armenien massiv
Brüssel verdoppelt derweil auch die humanitäre Hilfe für Armenien. Zusätzlich zu den schon gewährten 5,2 Millionen Euro sagte von der Leyen in Granada weitere 5,25 Millionen zu. Weiter versprach sie dem traditionell mit Russland verbündeten Kaukasusstaat Unterstützung beim Infrastruktur-Ausbau. Ein entsprechender Wirtschafts- und Investitionsplan sehe Investments im Gesamtumfang von bis zu 2,6 Milliarden Euro vor. Außerdem wolle die EU für vertrauensbildende Maßnahmen und eine "ausgewogene" Medienberichterstattung zusätzliche 800.000 Euro bereitstellen, so die EU-Kommissionspräsidentin.
Auf Initiative der EU hätte an diesem Donnerstag am Rande des Gipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft im spanischen Granada ein Treffen zwischen Aserbaidschans Präsidenten Alijew und dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan stattfinden sollen. Alijew entschied sich laut aserbaidschanischen Medien aber gegen eine Teilnahme.
Der für Krisenmanagement zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic will der Mitteilung zufolge an diesem Freitag nach Armenien reisen, um über konkrete Hilfsmaßnahmen zu sprechen, unter anderem durch den EU-Katastrophenschutz-Mechanismus. Armenien ist kein EU-Beitrittskandidat, gehört aber mit Aserbaidschan und vier weiteren postsowjetischen Staaten zur sogenannten Östlichen Partnerschaft; mit diesem Projekt verfolgt die EU eine stärkere wirtschaftliche Integration.
Konflikt flammte seit drei Jahrzehnten immer wieder auf
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stritten die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Diese gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, bisher lebten dort aber überwiegend ethnische Armenier. 1991 hatte sich Berg-Karabach nach einem Referendum für unabhängig erklärt. Der Entscheid wurde jedoch international nicht anerkannt und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottiert. Mehrfach führten die dortigen pro-armenischen Kräfte und Aserbaidschan gegeneinander Krieg.
jj/sti (dpa, afp, kna)