"Asselborn wollte die Grenzen ausloten"
13. September 2016DW: Was will der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn mit seiner Forderung nach einem Rausschmiss Ungarns aus der EU bezwecken?
Kai-Olaf Lang: Diese Äußerungen fallen natürlich in einem ganz bestimmten Kontext. Die Europäische Union steckt in einer tiefen Krise. Und Ende der Woche kommen die 27 Staats- und Regierungschefs in Bratislava zusammen, um festzulegen, wohin die Reise ohne Großbritannien gehen soll.
In dieser heiklen Phase sehen einige Akteure, zu denen auch Asselborn gehört, die Chance, die EU nach ihren Vorstellungen zu mehr Integration voranzubringen. Auf vermeintlich schwierige Partner wollen sie da keine Rücksicht nehmen. Asselborn wollte offenbar die Grenzen ausloten und schauen, was möglich ist. In einem historischen Moment, in dem es gilt, die EU zusammenzuhalten, sind derlei Postulate wenig hiflreich.
Das heißt, der Außenminister steht mit seiner Meinung nicht alleine?
Nein, Asselborn spricht da sicherlich für einige. In der aktuellen Phase der Neuorientierung sehen sie Ungarn als Klotz am Bein und würden sich im Rahmen eines Relaunches der EU gerne solcher unbequemer Mitgliedstaaten entledigen. Öffentlich sagen würde das aber so niemand. Das heißt aber nicht, dass diese Meinung den Mainstream repräsentiert. Zudem darf nicht vergessen werden, dass Asselborn auch Parteipolitiker ist. Schon in der Vergangenheit kam zum Teil harte Kritik aus den Reihen der Sozialdemokraten am nationalkonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Trotzdem sind Luxemburg und Ungarn gleichberechtigte Mitglieder der Europäischen Union. Was sagen die Äußerungen über die Stimmung innerhalb der EU-Gemeinschaft aus?
Bei einigen scheint eine große Ungeduld zu herrschen. Normalerweise läuft es doch so ab: Wenn es Fehlentwicklungen bei einem Partner gibt, spricht man darüber und versucht, diese zu beheben. Wenn nun aber der Rausschmiss gefordert wird, hat man den Mitgliedstaat eigentlich schon aufgegeben. Der Wille, sich in den anderen hineinzuversetzen, fehlt. Einige Mitgliedstaaten sehen sich offenkundig eher in einer Konkurrenz mit anderen EU-Ländern statt in kooperativer Partnerschaft, die durchaus auch kritisch sein kann.
Wäre ein Ausschluss denn überhaupt möglich?
Ein Land regelrecht rauswerfen, ist in den Verträgen gegenwärtig nicht vorgesehen. Dafür müsste man sich schon ziemlich verrenken. Es gibt die Wiener Vertragsrechtskonvention, wonach ein Vertrag unwirksam sein kann, wenn gravierende Vertragsverletzungen vorliegen. Dann könnte die Mitgliedschaft suspendiert oder beendet werden.
Das ist aber ein Extremfall, der vielleicht bei einem Militärputsch in einem Mitgliedstaat angewendet werden könnte. Etwas anderes ist Artikel 7 des EU-Vertrages. Das ist derzeit die große Keule, mit der temporär die Mitgliedsrechte ausgesetzt werden können. Dafür gibt es aber ziemlich hohe Hürden.
Wie werden die Äußerungen aus Luxemburg denn in Ungarn wahrgenommen?
Es ist ja nicht das erste Mal, dass solche markigen Worte kommen. Wie so oft wird es heißen, dass die politischen Kontrahenten eine Kampagne gegen das Land fahren. Außenminister Szijjarto hat ja bereits gesagt, dass er Asselborn nicht ernst nimmt.
Orbans Regierung wird den Fall sicherlich für die Kampagne zum Referendum über die EU-weite Verteilung von Flüchtlingen nutzen. Die Abstimmung am 2. Oktober soll dann auch ein Votum über Asselborn sein. Orban ist relativ geschickt darin, solche Dinge nicht nur an sich abprallen zu lassen, sondern sogar für sich zu nutzen.
Das heißt, ihm könnte das alles auch noch nutzen?
Davon ist auszugehen. Die zweifelsohne überzogenen Aussagen Asselborns sind Wasser auf die Mühlen der Europaskeptiker. Sie können jetzt ganz selbstbewusst sagen: Seht her, uns wird die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn wir nicht schnell genug machen, was die verlangen, droht uns der Rausschmiss.
Hat Asselborn mit seiner inhaltlichen Kritik an der ungarischen Politik denn recht? Er führt ja nicht nur den Grenzzaun gegen Flüchtlinge an, sondern auch Verletzungen der Pressefreiheit sowie der Unabhängigkeit der Justiz.
Wir befinden uns da in einer Grauzone. Dass es ein paar schwierige Entwicklungen in Ungarn gibt, steht außer Zweifel. Und dass Orban, seitdem er 2010 an die Macht gekommen ist, teilweise mit Supermehrheiten einen grundlegenden Umbau des Landes vollzieht, ist recht eindeutig. Ich würde aber nicht so weit gehen und sagen, in Ungarn herrsche eine defekte Demokratie. Leider ist es sehr schwierig festzustellen, ob bestimmte Prinzipien verletzt werden. Messbare Kriterien wie etwa bei der Haushaltskonsolidierung gibt es bei Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung nicht.
Dass man eine primär auf Grensicherung bedachte Flüchtlingspolitik betreibt, die sich nicht an den humanitären Maßstäben Deutschlands und weniger anderer Mitgliedstaaten ausrichtet, mag eine Differenz sein, sie hat aber nichts mit dem Zustand der ungarischen Demokratie zu tun. Wer Ungarn eine restriktive Flüchtlingspolitik vorhält, hat weitgehend recht, wer Ungarn vorwirft, in dieser Frage EU-Regeln zu brechen, wird Schwierigkeiten haben, dies nachzuweisen.
Kai-Olaf Jung arbeitet am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Dort ist er in der Forschungsgruppe EU/Europa tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählen Mittel- und Osteuropa und die Erweiterungspolitik der EU.
Das Interview führte Christian Wolf.