AstraZeneca: Auswege aus dem Impfstau
26. Februar 2021Es ist eigentlich ein Luxusproblem, das Deutschland gerade Kopfzerbrechen bereitet: Es gibt zu viel Impfstoff, den zu wenige Menschen haben wollen. Konkret geht es um den britisch/schwedischen Corona-Impfstoff AstraZeneca. Der lagert auf Halde, weil Menschen nicht zu ihren Impfterminen erscheinen. So wie im Impfzentrum in Köln. Dort kamen am Montag nur rund 120 Menschen zu ihren AstraZeneca-Impfterminen, obwohl das Impfzentrum Kapazitäten für 500 pro Tag hätte. "Beim Biontech/Pfizer-Impfstoff sind die Leute eine Stunde vorher schon da, um den Impftermin wahrzunehmen, da haben wir eine wahnsinnige Auslastung", sagt Johannes Nießen, der Leiter des Gesundheitsamts Köln der DW. "Das ist bei AstraZeneca leider nicht so."
Was in Köln zu beobachten ist, scheint ein deutschlandweites Phänomen zu sein. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden von 1,4 Millionen gelieferten AstraZeneca-Impfdosen - Stand Dienstag - nur 212.000 Dosen verimpft. Zum Vergleich: Von 5,7 Millionen Biontech/Pfizer-Impfdosen sind bereits 4,8 unter die Bevölkerung gebracht worden. Grund dafür ist neben der Impfskepsis der Menschen auch die Tatsache, dass laut Impfverordnung bisher vor allem über 80-Jährige an der Reihe waren beim Impfen. Und die dürfen in Deutschland, anders als zum Beispiel in Großbritannien, nicht mit AstraZeneca geimpft werden.
Auch Bund, Ländern und der Ständigen Impfkommission (Stiko) werden eine Mitschuld an der Zurückhaltung der Menschen, sich mit AstraZeneca impfen zu lassen, bescheinigt. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier etwa bedauerte auf einer Pressekonferenz eine zu kurz geratene Kommunikation über die Wirksamkeit des Impfstoffes. Außerdem kritisiert Bouffier die Entscheidung der Stiko, AstraZeneca nur für Menschen unter 65 Jahren zuzulassen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hatte hingegen eine Zulassung für jegliches Alter empfohlen. Dadurch sei der Eindruck entstanden, AstraZeneca wirke nicht richtig.
Impfstau verhindern
Unabhängig von den Gründen wird nun nach Lösungen gesucht, den Impfstau abzubauen. "Alles ist besser als Impfstoff wegzuschmeißen. Und es wäre schön, wenn man die Verimpfung rasch und rascher hinkriegen würde", sagt Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens im Gespräch mit der DW. Allerdings sollte dabei die Priorisierung der Impfgruppen weiterhin beachtet werden.
In Deutschland gibt es gemäß Impfverordnung, die in Anlehnung an Empfehlungen der Stiko ausgearbeitet wurde, drei Impf-Prioritätsgruppen. Nach den über 80-Jährigen Heimbewohnern folgen beispielsweise Lehrer, Polizisten und pflegende Angehörige. Das Problem: Wenn jemand aus Prioritätsgruppe 1 nicht zum Impfen erscheint, wird bisher nicht einfach ein Termin an eine Person aus Gruppe 2 vergeben. Das kostet wertvolle Zeit im Kampf gegen die Pandemie.
Die Stiko empfiehlt deshalb nun, dass die Impfzentren Listen anlegen mit Menschen aus anderen Prioritätsgruppen, die bei Ausfall nachrücken können. Genau so macht es das Impfzentrum Köln seit diesem Donnerstag. Es werden nun gezielt Berufsgruppen aus den Prioritätsgruppen angeschrieben, die sich zum Impfen melden können, sagt Nießen vom Gesundheitsamt. Der Krisenstab der Stadt habe das so entschieden – obwohl es noch keine offizielle Anordnung aus Berlin gibt. "Als Umsetzer müssen wir das ja so auch machen können und nicht auf das Signal aus Berlin warten. Das dauert zu lange und da wünschen wir uns manchmal ein bisschen mehr Flexibilität", sagt Nießen.
Priorisierung der Gruppen aufheben?
Auch in anderen Bundesländern geht man eigene Wege. Die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach etwa plant, mit nicht genutzten AstraZeneca-Impfdosen 3000 Wohnungslose zu impfen. Dieses Vorhaben hat auch für Kritik gesorgt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz etwa warnt vor jedweder Art der Änderung der Priorisierung der Impfreihenfolge: "Epidemiologisch und ethisch hoch bedenklich" nannte es der Vorsitzende, Eugen Brysch. Mit der Impfung der Wohnungslosen halte man sich aber weiterhin an die Impfreihenfolge und es werde keine Gruppe bevorzugt, teilt die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf DW-Anfrage mit.
Aus Bayern kommen sogar Überlegungen, die noch weiter gehen. Ministerpräsident Markus Söder hat die Idee ins Spiel gebracht, das Impfen den Ärzten zu überlassen, sollte AstraZeneca weiterhin ungenutzt liegen bleiben. So werde eine "schnelle Verimpfung" sichergestellt. Stiko-Vorsitzender Mertens hingegen warnt davor, ganz auf eine Priorisierung beim Impfen zu verzichten. Dadurch könnten Hochbetagte und Menschen, die den Impfstoff dringend brauchen, zurückbleiben. "Das halte ich für sehr problematisch. Man muss auf jeden Fall einen guten und gerechten Mittelweg finden", sagt Mertens.
Welche Lösung auch gefunden wird für einen Impfstoff, der zwar dringend gebraucht, aber nicht genutzt wird: Um einen Impfstau zu verhindern, braucht es vor allem Akzeptanz in der Bevölkerung, dass es sich um einen sicheren und wirksamen Impfstoff handelt.