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Ateeq, 12, unterwegs nach Deutschland

Barbara Wesel1. Oktober 2015

Er ist einer von tausenden minderjährigen Flüchtlingen, die über die Balkanroute nach Deutschland wollen. Die meisten kommen aus Afghanistan und wurden von ihren Eltern auf den Weg geschickt. Aus Belgrad Barbara Wesel.

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Porträt Flüchtling aus Afghanistan Ateeq
Bild: DW/L. Scholtyssyk

Die Szene in dem Park in Belgrad, wo sich in Bahnhofsnähe jeden Tag hunderte Flüchtlinge versammeln, erscheint fast alltäglich. Der Platz ist einer der Haltepunkte auf der Balkanroute, und eine Gruppe junger Afghanen schießt dort am Nachmittag einen schlappen Fußball durch das matschige Gras. Unter ihnen ein dünner Junge in einer roten Jacke. Er lacht und springt, als ob er keine Sorge auf der Welt hätte. Dabei hat Atteq schon eine unglaubliche Reise hinter sich, bis er in Serbien angekommen ist. Ein paar Landsleute haben sich seiner angenommen, und dabei hatte der Junge Glück, denn in Mazedonien traf er Nasir, der sich fast wie ein großer Bruder um ihn kümmert.

"Meine Eltern sind in Afghanistan, da wird immer gekämpft und wir können nicht zur Schule gehen“, erzählt Ateeq, „Da haben sie mich losgeschickt, und jetzt bin ich hier“. Wie alt er ist? Zwölf, vielleicht dreizehn Jahre, genau weiß er es nicht. Ein mageres Kind, das einem gerade an die Schulter reicht. Sein Begleiter Nasir erklärt, was der Kleine schon hinter sich hat: “Er ist aus Afghanistan nach Pakistan, dann über die Grenze zum Iran, dann weiter in die Türkei und zu Fuß durch die Berge nach Bulgarien“. Dort wurde er zusammen mit anderen von der Polizei drangsaliert, berichtet er, um schließlich in Belgrad anzukommen. Eine Reise von ungefähr 6000 Kilometern quer durch Vorderasien, mit Bussen und manchmal zu Fuß. Nasir selbst kommt aus Kabul und ist Anfang 20, die Familie von Ateeq lebt außerhalb der Hauptstadt. „Sie sind arme Bauern mit einem Stückchen Land, die zu viele Kinder haben, um sie zu ernähren. Sie wollen, dass wenigstens ein Sohn die Chance auf ein besseres Leben hat“, erklärt Nasir die Geschichte. Viele haben auch Angst, dass die Taliban ihnen die Jungs wegnehmen.

Porträt Flüchtling aus Afghanistan Ateeq und Nasir (Foto: DW/Lars Scholtyssyk)
Ohne Eltern Richtung Deutschland und doch nicht ganz allein - Ateeq (rechts) und NasirBild: DW/L. Scholtyssyk

Ob Ateeq manchmal Angst gehabt hat? „Man muss stark sein und kämpfen“, antwortet der Junge mit ernstem Gesicht, da dürfe man sich nicht fürchten, wenn es schwer ist. Da ist wohl die Stimme des Vaters zu hören, der ihm zu Hause gesagt hat, er müsse jetzt ein Mann sein. Nasir meint, dass Ateeq nicht zugeben wolle, wie quälend die Reise für ihn manchmal war. Besonders der Fußmarsch durch die Wälder in Bulgarien war wohl schlimm, und vorher der Weg durch den Iran. „Wir haben unterwegs mal seine Eltern für ihn angerufen, weil er gesagt hat, er kann nicht mehr. Er wollte umkehren, aber sie haben Nein gesagt, wir sollten ihn weiter mitnehmen," sagt der Ältere. In dem Park haben Helfer ein Zelt aufgebaut, wo die Flüchtlinge heiße Suppe und Marmeladenbrote bekommen. Für Ateeq ist das schon ein Festmahl. „Das Essen hier ist wirklich gut“, sagt er, denn unterwegs hat er sich wochenlang von trockenen Keksen und Wasser ernährt. Sein Lieblingsgericht zu Hause ist Pilao, Reis mit Hammelfleisch, und seine Augen leuchten als er davon erzählt.

In Belgrad hat sich die Gruppe von jungen Afghanen einen Tag lang in einem der Zelte ausgeruht, die eine Hilfsorganisation aufgestellt hat. Aber sie bereiten sich auf die Weiterreise vor, noch in dieser Nacht wollen sie den Bus an die kroatische Grenze nehmen. Auch Nasir weiß nicht, dass sie noch drei weitere Grenzen überwinden müssen, bis sie in Deutschland angekommen sind. Aber sie machen sich über den Rest der Reise keine Sorgen mehr, das Schlimmste liegt hinter ihnen. Alle kramen ihre Rucksäcke hervor und packen ihre Sachen ein. Ateeq hat kaum mehr als ein sauberes T-Shirt, ein paar Socken und eine Packung Kekse dabei. Von ganz unten holt er dann noch ein paar schneeweiße Turnschuhe hervor. Sie sind ungetragen und sein liebster Besitz, weil seine Eltern sie für ihn eingepackt haben. Er hebt sie für Deutschland auf, für sein neues Leben dort. Vorher braucht der Junge allerdings noch dringend einen warmen Pullover, denn die Nächte sind schon empfindlich kalt. Nasir zieht den Kleinen zum Bus einer Hilfsorganisation, wo Kleidung verteilt wird.

Porträt Flüchtling aus Afghanistan Ateeq und Nasir (Bild: DW/Lars Scholtyssyk)
Wasser - der tägliche Kampf um das LebensnotwendigeBild: DW/L. Scholtyssyk

Seine Eltern wird Ateeq vermutlich in den nächsten Jahren nicht wieder sehen. Die Familie ist zu arm, um nach Europa zu kommen. Und er hat überhaupt keine Idee davon, was ihn am Ziel erwartet. „Ich will zur Schule gehen und etwas lernen“, das ist schon sein ganzer Traum und alles, was der Junge dazu sagen kann. „Er kennt Deutschland aus dem Fernsehen, da dachten seine Eltern wohl, es ist für ihn das Richtige“, erklärt Nasir. Alle paar Tage leiht ihm einer aus der Gruppe mal sein Handy, damit der Kleine zu Hause anrufen kann. Aber das ist die letzte Verbindung zur Familie. Bei anbrechender Dunkelheit machen sich die Afghanen dann auf in Richtung Bushaltestelle. Die Fahrt kostet nur zehn Euro, das Geld für Ateeq haben seine Begleiter unterwegs immer irgendwie aufgebracht. Wie wird es weitergehen? Ateeq zuckt die Achseln und schaut auf seinen älteren Freund: „Ich weiß auch nicht, was kommt, aber Inschallah, werde ich ihn nach Deutschland bringen“ verspricht Nasir. Dort werden dann andere über sein Leben entscheiden.