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Personal-Karussell kommt in Schwung

Jannis Papadimitriou, Athen23. Dezember 2015

Die linksgeführte Regierung von Alexis Tsipras setzt die griechische Tradition des Klientelismus fort. Sämtliche Leiter und Spitzenmanager in Ministerien und öffentlichen Unternehmen werden ausgetauscht.

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Alexis Tsipras beim Interview, Foto: Reuters
Bild: Reuters/F. Lenoir

Schon in den ersten Wochen und Monaten nach dem Linksruck im Januar kam es zu Personaländerungen im griechischen Staatsapparat. Um nur einige Beispiele zu nennen: Linksfunktionär Stergios Pitsiorlas wurde zum neuen Leiter der Privatisierungsbehörde TAIPED berufen. In Athen bekamen Wasserwerke und Verkehrsbetriebe einen neuen Chef. Auch bei den Staatsbühnen in Athen und Thessaloniki haben neue Köpfe das Sagen. Beim Staatsfernsehen ERT dürfen neue Moderatoren die Nachrichten vorlesen. Im November wurde zudem der Chef der Athener Börsenaufsichtsbehörde ausgetauscht. Und ausgerechnet in der Weihnachtszeit will die Regierung das Tempo bei den Personaländerungen anscheinend noch erhöhen: 111 von insgesamt 127 Leitern und stellvertretenden Leitern öffentlicher Kliniken und Krankenhäuser würden umgehend ausgetauscht, ließ Gesundheitsminister Andreas Xanthos neulich verlauten. Groß war der Aufschrei in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit. Doch der Linkspolitiker rechtfertigte die Entlassungen mit einer „Evaluierung“ des leitenden Personals durch seine Behörde, die erst in den vergangenen Wochen abgeschlossen würde.

Jorgos Stathis, Chef der Vereinigung hellenischer Gesundheitsmanager (EEMYY) und Vertreter Griechenlands beim europäischen Dachverband der Krankenhausdirektoren (EAHM), begegnet dem Evaluierungsverfahren auf ministeriellen Auftrag hin mit großer Skepsis. "Bis auf das Erfordernis eines Hochschuldiploms waren die Einstellungskriterien kaum messbar" klagt Stathis im Gespräch mit der DW. Zudem moniert er, dass für die Neubesetzung der Chefposten keine einschlägige Berufserfahrung zwingend vorgeschrieben sei. Derartige Qualifikationen würden lediglich "mitberücksichtigt" und in einem Vorstellungsgespräch nach Ermessen bewertet. Dadurch würden willkürlichen Personalentscheidungen Tür und Tor geöffnet. "Letzten Endes geht es bei diesem Verfahren darum, Leute nach Parteizugehörigkeit einzustellen", befürchtet der Gesundheitsexperte.

Ein "politischer Plan" für Klinikchefs

Gesundheitsminister Andreas Xanthos sieht keinen Grund zur Aufregung. Auf einer turbulenten Pressekonferenz erklärte er neulich, seine Anliegen seien "die politischen Prioritäten des Gesundheitssystems und infolgedessen auch die Bereitschaft der Krankenhauschefs, einem bestimmten politischen Plan zu dienen". Einwände von akkreditierten Journalisten stießen beim Minister auf Unverständnis. "Wir sollten uns die Frage stellen, wieso der Austausch der Krankenhausverwaltungen, der in der Vergangenheit fast selbstverständlich war, jetzt auf einmal zur grundlegenden politischen Frage hochstilisiert wird. Das passiert doch zum ersten Mal" klagte der Linkspolitiker. Im Klartext soll das wohl heißen: Alle Vorgängerregierungen haben ihre Schützlinge mit Chefposten versorgt, warum sollen ausgerechnet wir das nicht tun? EEMYY-Chef Jorgos Stathis rügt die Tradition des Klientelismus, an deren Bildung die früher abwechselnd und im Alleingang regierenden Konservativen und Sozialisten mitgewirkt hätten. "Auch in der Vergangenheit waren sämtliche Klinikchefs parteitreu, aber beruflich unerfahren oder fachfremd; wir haben schon mal erlebt, dass ein Theologe oder ein Absolvent der Sporthochschule mit der Leitung eines Krankenhauses betraut wird", moniert der Gesundheitsexperte. Im Jahr 2012, als der damalige Regierungschef Antonis Samaras eine Große Koalition aus Konservativen, Sozialisten und der gemäßigten Linkspartei DIMAR schmiedete, war der Parteiproporz besonders stark ausgeprägt. Chefposten, nicht zuletzt im Gesundheitswesen, seien damals nach einem fest vereinbarten Verteilungsschlüssel 4:2:1 vergeben worden, erinnert sich Stathis. Mit anderen Worten: Erst nach vier Einstellungen für die Konservativen und zwei Postenvergaben an die Sozialisten durfte auch der Juniorpartner DIMAR zugreifen und einen Spitzenjob in Staat und Verwaltung für sich beanspruchen.

Andreas Xanthos Partei SYRIZA
Gesundheitsminister Andreas XanthosBild: Panagiotis Kouparanis

Als Oppositionskraft hatte die Linkspartei Syriza derartige Verflechtungen zwischen Staat und Regierungsparteien kritisiert. Tsipras höchstpersönlich erklärte in seiner Rede vor dem EU-Parlament im Juli, Griechenland befinde sich in der Krise, weil dort Korruption, Vetternwirtschaft und Klientelismus geherrscht hätten. Er sei entschlossen zur Konfrontation mit dem "Establishment". Doch derzeit würden die regierenden Linken in Athen nach gleichem Muster verfahren und sogar noch darüber hinaus gehen, mahnt Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis im Gespräch mit der DW. "Sie verfolgen eine ganz bestimmte Strategie: Sie wollen Abhängigkeiten schaffen, die absolute Kontrolle über den Staat und seine Funktionen erlangen und dadurch auch die Gesellschaft beherrschen", klagt Koussoulis. Zwar gebe sich die Linkspartei als progressive politische Kraft; doch in Wirklichkeit agiere sie tief konservativ und die Fortsetzung der altbeklagten Klientelpolitik sei letzten Endes auch der Beweis dafür, meint der Athener Analyst.

Nächste Baustelle: Bildung

Nach Angaben der Athener Tageszeitung Kathimerini wird als nächstes das Bildungswesen umgekrempelt und dem Einfluss der Partei-Funktionäre gefügig gemacht: Im Januar 2016 wolle das Bildungsministerium insgesamt 110 Lokal-Direktoren nominieren, die verantwortlich für die Organisation, den Unterrichtsablauf und das Personal in den 13.000 öffentlichen Schulen des Landes wären, berichtet das konservativ-liberale Blatt. Als mitunter wichtigster Prüfstein gelte auch hier das Vorstellungsgespräch. Im Februar hatte das Bildungsministerium nach einem ähnlichen Verfahren 13 neue Regionaldirektoren nominiert. Zwölf davon gehörten "zufällig" der Linkspartei an, monierte damals die Opposition.

Griechisches Parlament, Foto: Reuters
Parlament in AthenBild: Reuters

Das inoffizielle Parteiblatt Avgi ist um Sachlichkeit bemüht: Um Transparenz zu gewährleisten, würde das Ministerium das Vorstellungsgespräch immerhin aufzeichnen. Zu den einschlägigen Einstellungskriterien, berichtet das Blatt, gehörten unter anderem soziale Tätigkeiten, Gewerkschaftserfahrung, sowie die Teilnahme an Formen der "Volksbeteiligung".