Atletico-Coach Simeone: Emotion pur!
26. April 2016Er sieht in seinem dunklen Anzug, mit seinem Dreitagebart und den nach hinten gegelten Haaren eher aus wie ein Mafia-Boss aus einem alten Zwanziger-Jahre-Streifen. Doch Diego Simeone ist seit Jahren einer der erfolgreichsten Fußball-Trainer Europas. Ein 45 Jahre alter Argentinier, der seine ganze Leidenschaft auf Atletico Madrid übertragen hat, der stets auf einem schmalen Grat zwischen Heißblütigkeit und Wahnsinn wandelt. "Wenn ich Schlamm sehe, werfe ich mich hinein. Arbeit ist alles", lautet das Credo des früheren Profis, der schon in seiner aktiven Zeit keinem Disput aus dem Weg ging. Kein Mätzchen ist ihm auch jetzt noch zu blöd.
Erst am vergangenen Wochenende flog im Spiel gegen den FC Malaga plötzlich ein zweiter Ball aus Richtung der Atletico-Bank auf das Spielfeld und ließ den Angriff der irritierten Gäste verpuffen. Da der Urheber der groben Unsportlichkeit nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnte, musste Simeone als Verantwortlicher die Konsequenzen tragen und wurde auf die Tribüne verwiesen. TV-Bilder schienen den Argentinier zu entlasten, der skandalbehaftete Coach warf wohl tatsächlich nicht selbst. Allerdings spekulierten spanische Medien, Simeone hätte einen Balljungen zur Unfairness angestiftet. Am Mittwoch wurde der Trainer für drei Ligaspiele gesperrt und muss den Rest der Saison in der Primera Division von der Tribüne aus verfolgen. Ein herber Rückschlag im Titelrennen.
"El Cholo" am richtigen Ort
Schließlich ist es auch Simeones impulsiver Art zu coachen zu verdanken, dass Atletico nach Jahren der Tristesse wieder zum Leben erweckt wurde. Er hat es geschafft, dass nicht nur Bayern München vor dem Halbfinal-Hinspiel in der Champions League am Mittwoch (20.45 Uhr MESZ, ab 20:30 Uhr im DW-Liveticker) viel Respekt vor "Atleti" hat. Den Ruf als undankbarster Gegner Europas hat sich Atletico hart erkämpft, ermauert und ergrätscht. "Wir sind einfach eine Gruppe ehrlicher Arbeiter, da gibt es schlechtere Werte in der heutigen Gesellschaft", sagt Simeone. "Es war das Team gegen das ich am wenigsten spielen wollte. Für mich ist es der härteste Gegner", betont auch Bayerns spanischer Nationalspieler Javi Martinez.
Spielerisch ist Atletico dem FC Bayern unterlegen. Die Madrilenen haben jedoch schon häufig gezeigt, dass Siegeswillen und Kampfgeist ein solches Manko wettmachen können. "Wir sind eine verschworene Gemeinschaft", erläutert Simeone sein Erfolgsrezept. "Ob wir gewinnen oder verlieren, wir halten an unseren Werten fest." "El Cholo", wie der Argentinier genannt wird, hat bei den Rot-Weißen einen Stil geprägt, der auf einem stabilen Abwehrblock und Konterattacken basiert. "Simeone ist bei seinem Klub zu dem geworden, was Johan Cruyff seinerzeit beim FC Barcelona war, als der Niederländer den Verein auf Erfolgskurs brachte", stellte die Zeitung "El Pais" lobend fest.
Kongeniales Duo
Die Lorbeeren darf sich allerdings auch Simeones Kumpel und kongenialer Partner German Burgos an die Brust heften. Das befreundete Duo geht schon seit langer Zeit durch dick und dünn. Im September 2001 beispielsweise besiegten der damalige Mittelfeldbeißer Simeone und Keeper Burgos mit der argentinischen Nationalmannschaft den Dauerrivalen Brasilien in der WM-Qualifikation mit 2:1. Von 2003 bis 2005 spielten beide dann gemeinsam für Atletico, ehe sie 2011 als Trainerteam nach Madrid zurückkehrten. Coach Simeone und Co-Trainer Burgos formten Atletico wieder zu einer festen Größe in Europas Fußball und der Primera Division.
Schon 2012 wurde man Europa-League-Sieger, 2013 spanischer Pokalsieger, 2014 spanischer Meister und Champions-League-Finalist. Erst das legendäre 1:4 nach Verlängerung gegen den Erzrivalen Real konnte "Atleti" stoppen. Und auch in dieser Saison ist man in der spanischen Liga wieder auf Augenhöhe mit den beiden Großen Real und FC Barcelona. Aber nicht nur da: Dass Atletico im Viertelfinale der Königsklasse mit Barca das vermeintlich weltbeste Team ausschaltete, vergrößerte die Angst des Establishments vor dem unorthodoxen Spiel der Simeone-Schützlinge noch einmal. 16 Gegentore in 35 Ligaspielen und fünf in der Königsklasse sprechen eine deutliche Sprache.
ck/asz (dpa, sid, Kicker)