Phantome in der Eifel
9. August 2015Einträchtig wehen die deutsche und die amerikanische Flagge am Haupttor des Fliegerhorsts Büchel in der leichten Brise, die die Hitze des Sommermorgens halbwegs erträglich macht. Misstrauisch blickt der Posten am Schlagbaum auf Katja Tempel, die vor dem Haupteingang auf das Gelände hinter dem Zaun zeigt. Die Worte der 52-Jährigen mit dem grauen Kurzhaarschnitt gehen in dem ohrenbetäubenden Donnern unter, das plötzlich von der anderen Seite aufsteigt. "Das sind wieder die Tornados auf ihren Übungsflügen", sagt Tempel, als der Lärm etwas abgeebbt ist.
Die Flieger würden in der Woche regelmäßig von hier abheben, erzählt die Hebamme aus dem Wendland. Im Frühling hat sie hier in der Vulkaneifel viel Zeit verbracht. Von März bis Mai organisierte sie gemeinsam mit anderen Aktivisten "Büchel 65". Ziel der 65-tägigen Protestaktion war die Blockade des Ortes, auf dem die letzten US-Atomwaffen auf deutschem Boden vermutet werden.
Relikt des Kalten Krieges
Zwischen zehn und 20 amerikanische Atomsprengköpfe aus der Zeit des Kalten Krieges sollen hier auf dem Stützpunkt des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 lagern, unterirdisch, in einem abgetrennten, von US-Militärs bewachten Bereich. Offiziell bestätigt wurde ihre Existenz nie: Die NATO und auch die Bundesregierung äußern sich dazu aus Sicherheitsgründen nicht konkret. Gemeinsame Informationspolitik ist es, die Präsenz von Atomwaffen an bestimmten Standorten weder zu bestätigen noch zu dementieren.
Dass generell US-Atomwaffen in Europa und auch in Deutschland lagern, gilt allerdings als offenes Geheimnis. Amerikanische Dokumente lassen daran keinen Zweifel. Und auch die Bundesregierung bestreitet die Anwesenheit von US-Atomwaffen in Deutschland nicht. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist vermerkt, dass sich die Bundesregierung unter bestimmten Bedingungen für den "Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Atomwaffen" einsetzen will.
Eigentlich sei es festes Wissen, dass es in Büchel etwa 20 amerikanische Nuklearwaffen gebe, sagt Rüstungsexperte Ottfried Nassauer vom "Berlin Information Center for Transatlantic Security" (Bits). Es handele sich um zwei Bombentypen aus der Familie der B61-Bomben, mit einer maximalen Sprengkraft zwischen 50 und 170 Kilotonnen. Das entspricht der vier- bis 13-fachen Sprengkraft der am 6. August 1945 über Hiroshima abgeworfenen Atombombe.
In dem Eifelort trainieren die Piloten der Luftwaffe auch den Einsatz mit den Kampfjets, die im Bedarfsfall diese Atomwaffen transportieren würden. "Nukleare Teilhabe", heißt das bei der NATO. Während des Kalten Kriegs sollten deutsche Kampfjets mit amerikanischen Atombomben im Ernstfall vorrückende Panzertruppen des Warschauer Pakts stoppen - freilich erst nach Autorisierung durch den US-Präsidenten. Zu Spitzenzeiten waren etwa 7.300 US-Atomwaffen in Europa stationiert.
Die heutzutage noch rund 180 US-Atomwaffen in Europa haben laut Otfried Nassauer eigentlich kaum mehr eine militärische Bedeutung. "Die Wirkung ist mehr eine politisch-psychologische", sagt der Rüstungsexperte. "Sie rückversichern zum Beispiel die neuen Mitglieder in der NATO, dass die Amerikaner mit ihren Atomwaffen gegebenenfalls für die Verteidigung Europas zur Verfügung stehen würden."
Modernisierung statt Abzug
Der Abzug der US-Atomwaffen von deutschem Boden war hierzulande politisch eigentlich schon entschieden. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP 2009 diesen noch klar angestrebt. Und auch der Bundestag sprach sich 2010 mit großer Mehrheit für dieses Ziel aus.
Gekommen ist es dazu bislang aber nicht. Im Gegenteil. Außenminister Frank-Walter Steinmeier räumte kürzlich im Bundestag ein: "Das Thema ist keineswegs aufgegeben. Aber es ist ebenso schwierig wie in den vergangenen Jahren."
Möglicherweise ist es sogar schwieriger. Denn die geopolitische Großwetterlage deutet in eine andere Richtung. So hat die US-Regierung vor einigen Jahren beschlossen, ihr Atomwaffenarsenal in Europa mit einem milliardenschweren Programm zu modernisieren. Die in Deutschland stationierten, in die Jahre gekommenen B61-Bomben dürften dann durch präzisere, digital gesteuerte Lenkwaffen ersetzt werden.
Berlin sei klar geworden, dass mit einem Abzug der US-Atomwaffen in den nächsten Jahren nicht zu rechnen sei, sagt Nassauer. Zudem bestände bei Teilen der Bundesregierung die Sorge, dass man bei einem Abzug des US-Atomarsenals Einfluss auf die Planungen für diese Waffen verliere. Dies bedeute aber zugleich eine "Vorentscheidung dafür, dass die Bundesregierung mit der Modernisierung dieser Waffen leben wird und muss, die dann ab etwa 2020 nach Europa gebracht werden sollen", so Nassauer.
Die in Büchel stationierten Tornado-Jagdbomber, die als Trägersystem der bisherigen Atomwaffen dienen können, müssten dann umgerüstet werden. Ursprünglich wollte die Bundeswehr den Flieger bis 2020 aus dem Verkehr ziehen. Inzwischen ist jedoch klar, dass der Tornado in reduzierte Stückzahl auch über das Jahr 2025 hinaus eingesetzt werden soll und bei Bedarf noch einmal modernisiert wird.
Ein vollständiger Abzug der Atomwaffen aus Deutschland, wie ihn Katja Tempel und ihre Mitstreiter von "Büchel 65" vor Kurzem noch mit ihrer Protestaktion gefordert hatten, ist vor diesem Hintergrund erst einmal nicht in Sicht.