Audi setzt auf Mexiko
9. Mai 2014Der Wind wirbelt dichten Staub über die Baustelle im Tiefland rund um San José Chiapa. Klaus-Peter Körner steht vor dem mehr als 30 Meter hohen Stahlgerippe der zukünftigen Lackiererei des Audi-Werks und ist euphorisch: "Das ist einfach gigantisch - letztes Jahr im Sommer war hier gerademal der Boden geebnet und nun stehen wir hier bereits vor einem fast fertigen Gebäude."
Seit 40 Jahren arbeitet Körner für den Autobauer aus Ingolstadt. "So aus dem Nichts ein Premium-Auto zu produzieren, mit neuen Leuten, neuen Hallen, neuen Zulieferern, das habe ich in meiner Karriere noch nicht erleben dürfen", sagt der Produktionsleiter des neuen Werks und lässt stolz den Blick über die staubige Baustelle schweifen.
Rund 1600 Menschen vermessen hier momentan das Gelände, fahren Bagger, bedienen Kräne und verarbeiten Tonnen von Stahl zu neuen Werkhallen. Und es sollen noch viel mehr werden. Ab 2016 soll das Nachfolgemodell des Audi Q5 vom Band laufen. Dann werden wohl beinahe 4000 Menschen direkt auf dem Areal das Auto aus Bayern herstellen. In der gesamten Region rechnet Audi mit ungefähr 20.000 neuen Stellen.
Auch Körner wird dann in der Nähe des Werkes mit seiner Familie wohnen. Momentan verbringt er eine Woche im Monat in Mexiko und kontrolliert die Fortschritte am Bau der mehr als 900 Millionen teuren Produktionsstätte.
Hightech neben Landwirtschaft
Eine provisorische Straße führt in knapp fünf Minuten über die Baustelle nach San José Chiapa. Die Gemeinde zählt etwas über achttausend Einwohner, eine Kirche, eine Post und eine Hauptstraße, die gleichzeitig die Durchgangstraße des Ortes ist.
Es ist lautes Feuerwerk zu hören und neben dem Kirchplatz tummeln sich die Menschen auf einem kleinen Jahrmarkt. Zwar feiern die Einwohner heute nur ihren Schutzheiligen, doch die Aufbruchstimmung in San José Chiapa ist spürbar.
Lucero Coba Durán betreibt mit ihrer Mutter einen kleinen Laden am Kirchplatz und schwärmt: "Alle waren wirklich überrascht, dass so ein großes Werk direkt bei uns gebaut wird. Wir haben hier ja teilweise nicht einmal Telefonanschlüsse." Den Aufschwung spüre sie schon heute. "Es halten mehr Autos, und es kommen mehr Leute, die bei uns einkaufen."
Wer profitiert vom Audi-Werk?
Tatsächlich ist der Bau des Audi-Werks für die gesamte strukturschwache Region und besonders für die fünf angrenzenden Dörfer eine riesige Chance. Für ein schnelles Wachstum sei die Region aber noch nicht gerüstet, erklärt der Gemeindevorstand, Josué Martínez Santos, der unter einem Festzelt eifrig Hände schüttelt. "Wir arbeiten mit dem Bundesstaat Puebla daran, die Infrastruktur, die Bildungsmöglichkeiten und die Gesundheitsversorgung hier zu verbessern, so dass dann auch viele Menschen in die Nähe des Werks ziehen können."
Die meisten Menschen in der Region arbeiten in der Landwirtschaft. Mehr als die Hälfte der Einwohner ist laut der mexikanischen Statistikbehörde arm. Die Kommunalregierung hat Audi zugesichert, die Infrastruktur deutlich zu verbessern.
Im Gegenzug - so die Hoffnung - wird das Werk die Arbeitslosigkeit in der Region deutlich reduzieren. Doch nicht nur der Bundesstaat Puebla profitiert, Mexiko will mit Audi und dem Q5 auch seinen Ruf als Automobilstandort stärken. Schon heute ist Mexiko der achtgrößte Hersteller von Autos weltweit. Knapp drei Millionen Karosserien rollen vom Band. Mit dem neuen Werk werden es dann nochmals 150.000 mehr werden.
Billige Arbeitskraft und die USA um die Ecke
Knapp einen Kilometer von San José Chiapa planieren Bauarbeiter den Boden. Die hier als "Audi-Highway" bezeichnete Verbindungsstraße soll schon bald den Weg zwischen dem Werk und der Autobahn verkürzen. Dann werden es nur noch 40 Autominuten in die Millionenstadt Puebla sein. Dort schlägt das eigentliche Herz der mexikanischen Automobilindustrie.
Erst Anfang des Jahres feierte Audis Mutterkonzern Volkswagen den 50. Geburtstag seines Werks. Wer sehen will, wie stark eine Stadt von einer Branche abhängig ist, der ist in Pubela richtig. Ein Sprichwort der Einwohner besagt deshalb: "Wenn VW hustet, bekommt Puebla schnupfen."
Auf dem gesicherten Gelände des VW-Werks übt die 18-jährige Aylin Goudeloupe Mejía Escobar das Schweißen. Rund 120 junge Erwachsene hämmern, löten und bauen Schaltkreise in der Halle des Instituts für berufliche Bildung von VW zusammen. Aylin hat sich gegen rund 700 Bewerber durchgesetzt und ist nun im zweiten Semester des Audi-Ausbildungsgangs für Mechaniker und Mechatroniker. "Meine Eltern waren total stolz - wegen Audi und auch, dass ich mich gegen so viele Männer durchgesetzt habe", sagt sie und grinst.
Momentan läuft bereits der zweite Jahrgang der dualen Ausbildung. Die teilweise gerade einmal 15 Jahre alten Azubis sind motiviert - denn die Jobs bei Audi sind begehrt. Zwar gibt es in Mexiko private Top-Universitäten und Schulen, doch der Zugang muss teuer erkauft werden. Das kostenlose staatliche Schul- und Ausbildungssystem hingegen ist reformbedürftig.
Doch auch für Audi liegen die Vorteile auf der Hand. Ein Ingenieur oder eine Fachkraft verdient in Mexiko nur rund ein Viertel des deutschen Lohns. Durch die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) dient Mexiko dem bayrischen Autobauer zudem als zollfreies Sprungbrett in die USA.
Risikofaktor Qualität
Mit dem Q5 wird das erste Auto mit dem Prädikat "Premium" in Mexiko produziert. Produktionsleiter Klaus-Peter Körner wischt sich den Staub aus dem Gesicht und rückt seinen Schutzhelm gerade. "Die Qualifikation der Mitarbeiter ist für uns schon eine Herausforderung." Deshalb sollen ungefähr 600 Kolleginnen und Kollegen aus Mexiko in Ingoldstadt in einem einjährigen Training auf ihren Job vorbereitet werden. "Da werden die dann mit den Audi-Genen vertraut gemacht", erklärt Körner.
Auch Aylin und die anderen Azubis sollen schon bald in das Audi-eigene Ausbildungszentrum auf dem Werkgelände in San José Chiapa umziehen.
Körner ist sich sicher, dass Audi beweisen wird, dass Mexiko der optimale Standort für Top-Qualität ist. "Wir werden hier nichts rausgeben, was nicht Audi entspricht", sagt er überzeugt. Schon ab Mitte kommenden Jahres werden die ersten Testfahrzeuge produziert. Bevor es soweit ist, hat Körner erstmal anderes im Sinn: "Nach so einem Arbeitstag ist jetzt erstmal eine Zwangsdusche angesagt - da ist jede einzelne Pore verstaubt."