1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf der Suche nach energiepolitischen Auswegen

8. September 2005

Zahlreiche Länder sorgen sich um ihre zukünftige Energieversorgung: Deutschland und Russland vereinbaren eine neue Pipeline, die Ukraine sieht sich nach Alternativen um, rohstoffreiche Länder sehen sich gestärkt.

https://p.dw.com/p/79W2
Energiepolitischer Deal in Berlin: Unterzeichnung des Pipeline-Vertrags am 8.9.2005Bild: AP

Der Bau einer Ostseepipeline stand im Mittelpunkt des Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei Bundeskanzler Gehard Schröder am Donnerstag (8.9.) in Berlin. Beide unterzeichneten eine entsprechende Vereinbarung. Genau 1.189 Kilometer Meeresboden der Ostsee trennen das russische Wyborg und das deutsche Greifswald. Sie sollen bis zum Jahr 2010 mit der Unterwasser-Pipeline verbunden werden. Diese soll Erdgas aus dem Juschno-Ruskoje-Feld in Westsibirien nach Deutschland; eventuell auch in die russische Enklave Kaliningrad und nach Großbritannien transportieren. Mit einer Kapazität von etwa 25 Milliarden Kubikmetern Gas im Jahr könnte die Röhre quer durch die Ostsee dabei etwa ein Drittel des derzeitigen deutschen Jahresbedarfs decken.

Hoher Preis für mehr Unabhängigkeit

Dennoch ist es ein merkwürdiges Projekt: Die Pipeline quer durch die Ostsee wird etwa doppelt so teuer werden wie eine gleich lange Pipeline an Land. Das klingt nicht wirklich wirtschaftlich sinnvoll, zumal bereits zwei Landpipelines zwischen Russland und Deutschland namens "Polarlicht" und "Bruderschaft" bestehen, die man kostengünstig ausbauen könnte. Roland Götz, Leiter der Forschungsgruppe Russland/GUS der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erklärt das Projekt folgendermaßen: „Die Gründe dafür, dass man eine Unterwasserpipeline baut, sind in diesem Fall nur darin zu sehen, dass man nicht über dritte Staaten läuft. Also nicht über Belarus und Polen beziehungsweise über die Ukraine und die Slowakei. So ist eine direkte Verbindung zwischen Produzent und Abnehmer - also in diesem Fall Russland und Deutschland - gegeben, was Transitgebühren spart und die theoretische Möglichkeit einer absichtlichen Unterbrechung der Pipeline durch dritte Staaten ausschließt."

In der Vergangenheit sei dies bisher allerdings nur einmal und dann auch nur für ein paar Stunden passiert: als Belarus den Gashahn zudrehte, um den russischen Gaskonzern Gasprom bei Verhandlungen unter Druck zu setzen. Schwerer fällt ins Gewicht, dass die Ukraine in den vergangenen Jahres oft mehr Gas abgezapft haben soll, als sie eigentlich bezahlt hatte.

Russisches „Drohpotential“?

Dass man deshalb allerdings gleich zusätzliche Kosten von mehr als 1,2 Milliarden Euro in Kauf nimmt, ist merkwürdig. Vor allem fragt man sich, was die beiden beteiligten deutschen Firmen E.on Ruhrgas und BASF Wintershall dazu treibt, gemeinsam mit Gasprom die Mehrkosten schultern zu wollen. Russland-Experte Roland Götz meint: „Man verspricht sich offenbar davon doch irgendwelche Vorteile, die aber nicht so ganz klar auf der Hand liegen. Die haben mehr damit zu tun, dass man mit Gasprom auf eine gewisse Weise ins Geschäft kommen will. Der Hauptwunsch dürfte von Gasprom ausgehen, auf diese Weise ein gewisses Drohpotential gegenüber Staaten wie Belarus und Ukraine aufzubauen."

Sowohl E.on Ruhrgas als auch BASF Wintershall wollten auf Anfrage der Deutschen Welle keine Auskünfte zur Pipeline geben. Zu erzählen hätten beide Firmen sicherlich einiges. Zum Beispiel warum E.on Ruhrgas bei der ersten Absichtserklärung zum Bau der Pipeline im Juli 2004 in Moskau noch mit von der Partie war, bei der zweiten Absichtserklärung auf der Hannover Messe im April dieses Jahres aber plötzlich nicht mehr. Merkwürdig, denn schließlich ist E.on mit mehr als 5 Prozent Anteil der größte ausländische Anteilseigner am Gaskonzern Gasprom. Zum Zuge kam bei der zweiten Absichtserklärung stattdessen die BASF-Tochter Wintershall, die mit Gasprom in Deutschland gemeinsam die Vertriebsfirma Wingas betreibt. E.on war darüber gar nicht begeistert, soll nun aber nach Presseberichten doch wieder mit ins Boot kommen.

Unnötige Aufregung

Wenig Freude an der Pipeline zeigt Polen. Der neue EU-Partner fühlt sich sprichwörtlich "umgangen". Und da deutsch-russische Kooperationen nach den diversen polnischen Teilungen ein sensibles Thema sind, ist der Zorn in Polen groß. Nach Meinung von Roland Götz ist das Ganze jedoch mehr Aufregung als sachlich begründet: „Diese Ostsee-Pipeline verändert nicht wirklich die Energiebeziehung zwischen Deutschland und Russland und Deutschland und Europa. Sie fügt diesen Energiebeziehungen, die wirklich sehr breit sind, nur einen neuen Faktor hinzu. Dazu kommt noch, dass der Gasbedarf in Deutschland und Europa weiter ansteigen wird, so dass diese Ostsee-Pipeline irgendwann ohnehin notwendig oder sinnvoll geworden wäre. Sie wird sozusagen nur vorgezogen anstelle des Ausbaus anderer Pipelines."

Johannes Beck

DW-RADIO, 5.9.2005, Fokus Ost-Südost