400 Kilometer Kultur!
9. Januar 2010"Das ist Tobias", sagt Bernhard Scholten und zeigt auf das Modell eines Pferdes. "Das haben wir hier stehen, weil ein Tobias das letzte Pferd war, das im Ruhrgebiet im Bergwerk gearbeitet hat." Bernhard Scholten führt heute Besucher durch das Anschauungsbergwerk des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum, dabei ist er eigentlich Diplom-Ingenieur der Bergtechnik. Für den Beruf entschied er sich Ende der 70er-Jahre, auch wegen der Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz. Drei Jahre lang half er mit, unter Tage Kohle zu fördern.
Doch die Kohleförderung im Ruhrgebiet hatte keine Zukunft. Immer öfter bekam Scholten neue Kollegen von Bergwerken, die geschlossen worden waren. Dann wurde seine Zeche mit einer anderen zusammengelegt. Als schließlich klar wurde, dass auch das zusammengelegte Bergwerk in einigen Jahren geschlossen würde, suchte sich Scholten eine neue Arbeitsstelle im Bergbaumuseum.
Kohle, Stahl und Bier
Das Bergbaumuseum ist einer von 25 Ankerpunkten auf der 400 Kilometer langen Route der Industriekultur. Braune Schilder auf der Route weisen den Weg zu den touristischen Höhepunkten unter den schätzungsweise eintausend Industriedenkmälern des Ruhrgebiets, von Maschinenhallen und Bergarbeiter-Siedlungen bis hin zu Panorama-Punkten und Museen. Für Spezialisten gibt es zusätzlich 25 Themenrouten wie "Dortmund: Dreiklang Kohle, Stahl und Bier".
Geschaffen wurde die Route der Industriekultur vom Regionalverband Ruhr, einer Organisation der Städte und Kreise des Ruhrgebiets. "Wandel durch Kultur" lautet das Motto von Europas Kulturhauptstadt Ruhr.2010. Eben diesen Strukturwandel soll die Route illustrieren, von Schwerindustrie zu Tourismus, Dienstleistung und Wissenschaft.
Weg von der Schwerindustrie
Gerade das Deutsche Bergbaumuseum ist ein Sinnbild für den Wandel der Mentalität im Ruhrgebiet. Als es 1930 gegründet wurde, sollte das Museum für den Beruf des Bergmanns werben. Denn der gedeihende Bergbau verlangte nach Arbeitskraft. Als man 1973 nach dem Zechensterben den Förderturm der Dortmunder Zeche Germania zum Bergbaumuseum verlegen wollte, gab es Streit. So ein hässliches Relikt der gescheiterten Industrie wollten viele in Bochum nicht haben. Doch heute ist der Förderturm hinter dem Bergbaumuseum ein Symbol der Stadt.
Viele Menschen stünden den industriellen Wurzeln der Region sehr positiv gegenüber, meint Museumssprecherin Eva Koch. "Man ist stolz darauf, und das kann man auch sein. Ohne den Bergbau und die Montanindustrie hätte es den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg in der Form nicht geben können."
Wandel der Menschen
Winternacht in Dortmund-Huckarde. Der Kühlturm der Kokerei Hansa erstrahlt in gelbem Licht, eine begehbare Großskulptur, wie es im Prospekt heißt. Trotz Schneetreiben sind 18 Menschen erschienen, um sich von Klaus-Peter Schneider durch das Industriedenkmal führen zu lassen. Unter blauen Neonröhren steigen sie das Förderband herauf zum Kohlebunker. Schneider erklärt, wie hier die Kohle, die von den Zechen kam, weiter verarbeitet wurde zu Koks.
1928 gebaut, produzierte die Kokerei Hansa zu Hochzeiten 300 Eisenbahnwaggonladungen Koks. 1992 wurde sie geschlossen. Klaus-Peter Schneider hat mit der Zeche Hansa seinen persönlichen Strukturwandel durchlaufen. Er hat sowohl auf der "schwarzen" Kohle-Seite wie auch auf der "weißen" Chemie-Seite gearbeitet. Er ist Koker seit 1972, sagt er: "Ich bin zwar nicht mehr in der Produktion. Aber ich bin hier immer noch auf einer Kokerei."
Zwei Stunden dauert die Kokerei-Führung. Dem Weg von Kohle und Koks folgend, wäre die nächste Station auf der Route der Industriekultur ein Stahlwerk. Die Auswahl ist erschlagend: Im virtuellen Stahlwerk des Dortmunder Hoesch-Museums einen Kran selbst bedienen, vielleicht einen Film schauen in der Henrichshütte in Hattingen oder klettern im Landschaftspark um das Duisburger Hüttenwerk Meiderich.
Die Route der Industriekultur ist keine Autobahn, eher ein Labyrinth. Jeder Besucher muss seinen eigenen Weg finden. Das passt – immerhin geht es bei Industriekultur vor allem um Arbeit.
Autor: Aarni Kuoppamäki
Redaktion: Sabine Oelze