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Auf Kosten von Mensch und Natur

Andreas Becker10. Juli 2012

Mehr Wettbewerb! Den Appell hören nicht nur die Griechen oft, sondern Menschen weltweit. Gleichzeitig leben Milliarden in Armut, die Umweltzerstörung wächst. Ist eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung möglich?

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©ChinaFotoPress/MAXPPP - HUAYING, CHINA - JULY 13: (CHINA OUT) Children pick up cinders during their summer holiday at a coal gangue hill on July 13, 2011 in Huaying, Sichuan Province of China. A lot of children in poor family have to struggle for their school fees of next semester. (Photo by Qiu Haiying/ChinaFotoPress)***_*** ?419544163
Kinderarbeit in ChinaBild: picture-alliance/dpa

Das Bild ist ziemlich düster, sagt Franz Josef Radermacher. Der Ulmer Professor, der auch Mitglied im Club of Rome ist, setzt sich seit Jahren für eine Marktwirtschaft ein, in der soziale und ökologische Standards eingehalten werden. Doch Regierungen hinken mit ihrer nationalen Gesetzgebung der globalen Wirtschaftsentwicklung hinterher, sagt Radermacher. Die Folge sei eine entleerte Demokratie.

Internationale Verträge, etwa bei der Welthandelsorganisation WTO, verpflichteten auch deutsche Händler, Produkte zu verkaufen, "obwohl sie von Kindern unter sklavenartigen Bedingungen produziert wurden", so Radermacher. "Und zwar in Ländern die, genau wie wir, bei den Vereinten Nationen unterschrieben haben, dass das verboten ist." Wer diesen Produkten den Zugang zu seinen Märkten verweigere, komme vor das Schiedsgericht der WTO. "Entlang dieser Logik passiert auf dem Globus dauernd, was angeblich keiner will", so Radermacher auf einer Veranstaltung der "Akademie für politische Bildung Tutzing".

"Nicht verteidigungsfähig"

Franz Josef Radermacher (Foto: A. Haas, Politische Akademie Tutzing)
Franz Josef Radermacher: "So geschieht, was keiner will."Bild: Alexander Haas

Zu Beginn dieser Entwicklung, in den 1980er und 90er Jahren, habe die Politik in den westlichen Demokratien eine Entwicklung forciert, deren Folgen sie nun nicht mehr kontrollieren könne. Gegenüber dem großen Projekt der wirtschaftlicher Liberalisierung seien die nationalen Demokratien "überhaupt nicht verteidigungsfähig" gewesen.

"Die Wahl war eigentlich immer nur: Bleibe ich in diesem Prozess außen vor? Dann ist man isoliert, das funktioniert auch nicht. Oder mache ich bei dieser zweitbesten Lösung mit?" Denn über die eigentlich beste Lösung, nämlich Standards für eine ökologische und sozialverträgliche weltweite Wirtschaftsordnung zu etablieren, habe damals niemand verhandeln wollen, so Radermacher.

Seitdem ist es nicht einfacher geworden, Mindeststandards einzuführen. Im Jahr 1999 versuchte der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, Unternehmen direkt für einen "Global Compact", eine weltweite Abmachung zu gewinnen. Durch die Einbindung der Privatwirtschaft wollte Annan dem Prozess eine neue Dynamik geben. "Zum einen sollten Unternehmen dazu gebracht werden, Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz und die Bekämpfung von Korruption im Unternehmen durchzusetzen und in ihrem Umfeld zu fördern", so Julia Rohloff, Soziologin an der Hochschule ESC im französischen Rennes. "Das zweite Ziel ist es, mit Unternehmen Partnerschaften zu schließen, die dazu dienen, die Ziele der Vereinten Nationen besser zu erreichen."

Magere Bilanz

Julia Rohloff, Associate Professor ESC Rennes, School of Business Fotograf: Alexander Haas, Politische Akademie Tutzing
Soziologin Julia Rohloff aus RennesBild: Alexander Haas

Inzwischen haben sich mehr als 8000 Teilnehmer den Prinzipien des Global Compact verpflichtet, um die Globalisierung sozialer und umweltverträglicher zu gestalten. Doch die Bilanz fällt mager aus. Die Teilnahme ist freiwillig und nicht mehr als eine Absichtserklärung. Kontroll- und Sanktionierungsmöglichkeiten gibt es nicht. Selbst die Vereinten Nationen scheinen der Initiative zu misstrauen, eine Untersuchungskommission bemängelte 2010 das unklare Konzept, das fehlende Mandat und die mangelnde Kontrolle des Global Compact.

Auch außerhalb der Vereinten Nationen setzen Regierungen zunehmend auf die Beteiligung der Privatwirtschaft.  "Das ist eine Entwicklung, die man europaweit beobachten kann", sagt der Wirtschaftsethiker Michael Aßländer vom Internationalen Hochschulinstitut Zittau. Die Europäische Kommission habe ihre Grundüberzeugung zum Thema Corporate Social Responsibility, also Sozialverantwortung von Unternehmen, in einem Grünbuch festgeschrieben. "Da geht es darum, dass man ökologische und soziale Belange fördern soll, aber eben auf freiwilliger Basis. Und ich unterstelle einmal den Hintergedanken, sich auch von zusätzlichen Ausgaben zu entlasten und zu hoffen, dass Unternehmen diese Lücke füllen", so Aßländer.

Rückzug des Staates

Michael Aßländer, Professor für Wirtschaftsethik, Internationales Hochschulinstitut Zittau Fotograf: Alexander Haas, Politische Akademie Tutzing
Michael Aßländer: "Abhängigkeit von der Privatwirtschaft."Bild: Alexander Haas

Mit anderen Worten: Je mehr sich private Firmen im Umweltschutz, in der Bildung oder in der Kultur engagieren, desto mehr kann der Staat in Zeiten leerer Kassen sparen. Das Problem dabei ist allerdings, dass Firmen freiwillige Leistungen jederzeit wieder beenden können, so Aßländer. Auch verfolgten sie mit ihren Angeboten, etwa im Bildungsbereich, immer auch eigene Interessen. Hinzu kommt, dass sich Unternehmen kaum wirksam regulieren lassen, wenn sich Staaten zunehmend von deren freiwilligen Leistungen abhängig machen.

Die wirtschaftliche Liberalisierung der letzten Jahrzehnte hat auch positive Seiten. Ohne sie wäre der Aufschwung der Schwellenländer, allen voran China und Indien, nicht möglich gewesen. Dort allerdings sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch gewaltiger als im Rest der Welt.

Europa dagegen war lange stolz auf sein hohes Maß an sozialem Ausgleich. Diese große Errungenschaft werde sich aber wahrscheinlich nicht halten lassen, befürchtet Franz Josef Radermacher. Auch in Europa werde sich die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößern. "Viele finden das ganz normal, weil es rund um den Globus auch so ist. Sie sagen dann: Das ist auch eine Form sozialer Gerechtigkeit."