Sightseeing-Tour mit LobbyControl
13. Juni 2017Waffenhersteller wollen, dass die Exportkontrollen für ihre Geschäfte nicht zu streng sind. Autohersteller wünschen sich einfache Emissionstests für Abgaswerte. Brauereien und TV-Produktionsfirmen tun sich zusammen, um zu erklären, warum Alkohol-Werbung nicht verboten werden sollte.
So funktioniert moderne Politik. Und auch wenn man es als Bruch mit demokratischen Grundwerten betrachten könnte: inzwischen ist Lobbying für eine funktionierende Demokratie unerlässlich. "Schließlich brauchen Politiker auch die Kompetenz von Unternehmen, um Entscheidungen treffen zu können", argumentiert Sebastian Hennig von der Berliner Nicht-Regierungsorganisation "LobbyControl". So vorsichtig startet der frühere Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten seine Tour durch das Regierungsviertel Berlins. Das Viertel nennt er den "Lobby-Planeten", denn mehr als 6000 Menschen sind hier damit beschäftigt, die Interessen großer Unternehmen, des gesamten Industriesektors und - da sie in der Regel nur kleine Budgets haben - vereinzelt auch von Menschenrechtsgruppen zu vertreten. "Geld", sagt Hennig, spielt dabei eine wichtige Rolle".
Deutschland, so wird im Verlauf der Tour klar, hat eines der am wenigsten transparenten Lobby-Systeme unter den Industriestaaten: Es gibt kein "Lobby-Register" im Stil der EU oder der USA, das Vertreter der freien Wirtschaft zwingen würde, offen zu legen, wie und warum sie Gesetzgeber kontaktieren und wie viel Geld das gekostet hat.
Dazu herrscht in Deutschland eine notorische "Drehtür-Tradition". Am Ende ihrer politischen Karriere steht bei vielen Politikern eine erfolgreiche Karriere in Unternehmen. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Beispiel angelte sich rasch einen Posten im Verwaltungsrat des Energiekonzerns Nord Stream, einem Tochterunternehmen des russischen Energiekonzerns Gazprom, das die Erdgaspipeline von Russland nach Deutschland erweitern will. Der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung erhaschte einen Platz im Aufsichtsrat des großen Rüstungskonzerns Rheinmetall.
Essen mit dem Ex-Politiker für 7000 Euro
Etwa 20 Interessierte finden sich an diesem sonnigen Samstagnachmittag ein, um mit Hennig herumzuspazieren. Ein Teilnehmer fasst es treffend zusammen: Man erfahre, was hinter den Türen der schicken Büros abgehe, und wovon man bisher keine Vorstellung gehabt habe. Einige der Teilnehmer sind Aktivisten, andere Wissenschaftler mit beruflichem Interesse und manche einfach Bürger, die mehr über die Arbeit ihrer Regierung erfahren wollen. Und auch ein paar Touristen laufen mit, die die restlichen Berliner Sehenswürdigkeiten bereits abgehakt haben.
Unterwegs erzählt Hennig ein paar beunruhigende Geschichten. Die Tour führt zum Beispiel beim Edel-Italiener "Il Punto" vorbei, wo die SPD-eigene Kommunikationsagentur Network Media vergangenes Jahr Treffen mit ehemaligen Politikern für bis zu 7000 Euro pro Person verhökerte. Nachdem der öffentliche Fernsehsender ZDF die Praktiken in einer TV-Dokumentation enthüllte, veröffentlichte Network Media ein Statement. Darin äußerte die Agentur, die Begegnungen seien nicht "bezahlt", sondern "gesponsert" worden. Eine der Aufgaben der Agentur bestand darin, "Partner zu finden, die die Ausgaben für dieses Meetings übernehmen".
Andere Lobbying-Beispiele scheinen weniger korrupt, zeigen aber dennoch die direkte Einmischung in die Politik. Die Tour stoppt auch beim Hauptquartier des Deutschen Brauer-Bundes (DBB), das direkt gegenüber vom Bundespresseamt liegt. Hier erzählt Henning, wie Deutschlands größte Brauereien 2009 eine Allianz mit Sportverbänden und TV-Netzwerken eingingen, um strengere Regeln bei der Ausstrahlung von Alkoholwerbung zu verhindern, die Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner zu dem Zeitpunkt plante. Ein Einnahmeverlust durch die fehlende Bierwerbung werde sich negativ auf die Qualität der TV-Programme auswirken. Im selben Jahr ernannte der Deutsche Brauer-Bund Ilse Aigner zu seiner"Bier-Botschafterin". "Das war wahrscheinlich kein Zufall", vermutet Hennig.
Formen der Einflussnahme
Lobbyisten zielen auch auf den öffentlichen Sektor. RWE, einer der größten Energiekonzerne Deutschlands, verteilt bundesweit Schulbücher, in denen Achtklässlern die vermeintlichen Vorteile der Umsiedlung ganzer Orte für den Braunkohlebergbau vermittelt werden.
Die Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft", die komplett vom Interessenverband Gesamtmetall (einem Zusammenschluss deutscher Arbeitgeberverbände in der Metall- und Elektronikindustrie) finanziert wird, versäumt es in der Regel, diese Tatsache zu erwähnen, wenn sie flächendeckende Werbekampagnen für niedrigere Unternehmenssteuern und geringere Mindestlöhne startet.
Alle Tourteilnehmer kann Veranstalter LobbyControl nicht überzeugen. Während die Geschichten von den Absprachen zwischen Politik und Unternehmen abgespult werden, äußert ein älteres Paar, das die Tour geschenkt bekommen hatte, seinen Unmut. "Das ist so einseitig", sagt der Mann, der namentlich nicht genannt werden möchte. "Sie stellen alles so negativ dar. Beim Lobbying geht es nur darum, Informationen zu verbreiten. Was ist daran falsch? Lobbyismus selbst ist nicht schlecht. Letztendlich liegt es in der Verantwortung der Politiker, wie sie entscheiden."