Aufkauf von Staatsanleihen teilweise verfassungswidrig
5. Mai 2020Mit dem Urteil, das Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle vortrug, hatten Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg. Der Bundesbank ist es demnach untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung des EZB-Aufkaufprogramms mitzuwirken, sofern der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass das Programm verhältnismäßig ist, heißt es in dem Urteil. Beschwerdeführer waren unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Das Urteil erging mit sieben zu eins Stimmen.
Ein Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung sei dagegen nicht festgestellt worden. Die Karlsruher Verfassungsrichter hoben zudem hervor, dass sie nicht über die aktuellen Hilfsmaßnahmen in der Corona-Krise entschieden hätten.
EuGH-Urteil "willkürlich"
"Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP (das EZB-Aufkaufprogramm) entgegenzutreten", heißt es in dem Urteil.
Außerdem erklärte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember 2018 zum Kaufprogramm der EZB für willkürlich und damit für das Bundesverfassungsgericht nicht bindend. Der EuGH hatte das EZB-Programm in allen Punkten gebilligt.
"Anleihekäufe der EZB werden weitergehen"
Ökonomen sehen in ersten Reaktionen die Tragweite des Urteils eher begrenzt: "Im Kern hat das Verfassungsgericht der EZB grünes Licht gegeben", so das erste Urteil von Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Entscheidend ist, dass die Verfassungsrichter in dem Kauf von Staatsanleihen keinen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung sehen. Die Anleihekäufe der EZB werden weitergehen. Daran wird das heutige Urteil nichts ändern." Ähnlich auch Alexender Krüger vom Bankhaus Lampe: "Das Urteil schränkt die Bundesbank bei der aktuellen Krisenbewältigung grundsätzlich nicht ein."
Holger Schmieding von der Berenberg Bank bewertet das Urteil hingegen als "kleinen Paukenschlag", weil die Verfassungsrichter dem Europäischen Gerichtshof bescheinigt hätten, "seine Kompetenzen teilweise überschritten zu haben. In der Praxis dürfte es die EZB nicht allzu sehr einschränken." Man nehme das Urteil zur Kenntnis und halte weiterhin daran fest, "alles Nötige innerhalb des Mandats" zu tun, um die Preisstabilität und die Wirksamkeit der Geldpolitik überall im Euroraum
sicherzustellen, heißt es in einer ersten Stellungnahme der EZB.
Das Urteil der deutschen Verfassungsrichter war mit Spannung erwartet worden. Nervosität in Frankfurt am Sitz der EZB, in Berlin bei der Bundesregierung und natürlich in Brüssel bei der EU. Schon vorher wusste man: der Spruch des höchsten deutschen Gerichts hat das Zeug, den europäischen Währungshütern in einer brisanten Lage in die Parade zu fahren: Um Munition gegen die Corona-Folgen in der Hand zu haben, hat die EZB ein Extra-Krisenprogramm aufgelegt, bei dem es wieder um den Aufkauf von Staatsanleihen geht, diesmal unter dem Kürzel PEPP und diesmal mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern, investiert die EZB zusätzlich bis Jahresende im Rahmen der laufenden Kaufprogramme 120 Milliarden Euro. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere fließen.
Um welche Anleihenkäufe geht es?
Zwischen März 2015 und Ende 2018 hat die EZB unter ihrem damaligen Präsidenten Mario Draghi rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere investiert - den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme) - darum ging es in Karlsruhe. Kurz vor Ende seiner Amtszeit setzte Draghi noch eine Neuauflage durch: Seit dem 1. November 2019 erwirbt die EZB wieder regelmäßig Wertpapiere von Staaten, zunächst in vergleichsweise geringem monatlichen Umfang von 20 Milliarden Euro.
Die einzelnen Staaten müssen nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt, kommen also günstiger an frisches Geld. Die Karlsruher Kläger halten die Anleihenkäufe für verbotene Staatsfinanzierung: Hochverschuldete Länder würden noch zum Schuldenmachen animiert, Reformen durch die Geldschwemme gebremst. Deutschland bezahle indirekt die Rettung klammer Staaten und maroder Banken in Südeuropa. Denn die Bundesbank ist mit etwas mehr als 26 Prozent größter EZB-Anteilseigner.
Die Brisanz des Urteils
Die Notenbank ist politisch unabhängig. Das war vor allem den Deutschen bei der Gründung 1998 wichtig. Doch die parlamentarische Kontrolle fehlt - und das bereitet den Verfassungsrichtern immer wieder Unbehagen. Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat die EZB seit längerem in Verdacht, nicht nur Staatsfinanzierung, sondern auch Wirtschaftspolitik zu betreiben. Im Sommer 2017 haben die Richter den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eingeschaltet. Der hat den Staatsanleihenkäufen aber recht pauschal seinen Segen erteilt.
Das entscheidende Stichwort ist also: Parlamentarische Kontrolle. Brisant ist das, weil es bei den Entscheidungen der EZB um gigantische Summen geht. Bei diesen Entscheidungen hat jedes Mitglied im EZB-Rat das gleiche Stimmgewicht. So wies der Ökonom Anatoli Annenkov von der Bank Societé General unlängst in der WELT darauf hin, dass „der Zentralbankgouverneur von Malta de jure so viel Macht wie jener von Deutschland“ habe – allerdings „ist die Wirtschaftsleitung von Deutschland 251mal so groß wie die Maltas“.
Deutschland haftet aber nach dem vorgegeben Kapitalschlüssel der EZB mit einem Anteil von 26,4 Prozent für die Entscheidungen der EZB. Bei einem Volumen von bisher 2,4 Billionen Euro Anleihenankauf ist das eine ganze Menge.
Warum kauft die EZB überhaupt Wertpapiere?
Hauptziel der EZB ist ein ausgewogenes Preisniveau. Das sieht die Zentralbank am ehesten gewährleistet, wenn die Preise im Euroraum mit seinen 19 Ländern moderat steigen. Mittelfristig wird eine Teuerungsrate knapp unter 2,0 Prozent angestrebt. Denn wenn die Preise stagnieren oder fallen, kann das Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann die Konjunktur bremsen. Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, was normalerweise die Inflation anheizt. Bislang zahlen sich die Käufe für die Notenbanken aus: Die Zinserträge steigern ihren Gewinn.
ar/hb (dpa, rtr, afp)