Aufräumen mit Vorurteilen
18. April 2013Die Vereinten Nationen entdeckten ihr Herz für Frauen 1980: In einem Übereinkommen verpflichtete sich die Staatengemeinschaft dazu, "mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen."
Die Realität 30 Jahre später zeichnet jedoch ein ernüchterndes Bild: Führungsposten in großen Wirtschaftsunternehmen sind fast ausnahmslos mit Männern besetzt. Deutschland bildet in diesem Punkt das internationale Schlusslicht. Laut einer OECD-Studie sind nur vier Prozent aller Vorstandsmitglieder von DAX-Unternehmen weiblich.
"Unsinnig und nötig"
In Skandinavien ist die Situation völlig anders. Dort liegt die Quote der Frauen in Führungspositionen bei börsennotierten Konzernen zum Teil deutlich über 30 Prozent und hat damit im positiven Sinne eine "kritische Masse" erreicht. Das würde auch dem Betriebsklima in deutschen Unternehmen gut tun, sagt Rolf Pohl, Soziologie-Professor an der Leibniz Universität Hannover: "Dann würde sich diese männlich bestimmte Aura der Machtvollkommenheit zwar nicht garantiert ändern, weil die Frauen nicht bessere Menschen sind, aber es würde ein anderer Stil der Kommunikation eintreten - sagen zumindest diejenigen, die bereits solche Erfahrungen haben."
Eigentlich sei eine Quote unsinnig, weil sie den Frauen nicht gerecht werde und möglicherweise sogar neue Ungerechtigkeiten schaffe, so Pohl. "Aber solange wir kein anderes Instrument haben, um die noch existierenden Ungleichheiten anders zu lösen, ist sie leider das einzige taugliche Instrument."
Hinzu kommt das Ergebnis zahlreicher Studien, dass gemischt-geschlechtliche Teams erfolgreicher sind und effizienter zusammenarbeiten. Das bestätigt Stephanie Bschorr, Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU): "Ich denke, durch jede Art von Vielfalt kann ein Unternehmen nur gewinnen. Die Nachfrageseite ist ja auch vielfältig. Was liegt da näher, dass auch die Entscheidungen im Unternehmen von vielfältigen Stimmen und Meinungen getroffen werden?"
Frauen ein Wirtschaftsrisiko?
Kritiker behaupten, die Frauenquote "fördere das Mittelmaß" und stelle "ein wirtschaftliches Risiko für die Unternehmen" dar. Für Soziologie-Professorin Heather Hofmeister ist dieses Argument ein Indiz für offene Frauenfeindlichkeit. Man könne doch nicht einfach behaupten, dass die weibliche Hälfte der Bevölkerung weniger fähig sei als die männliche. Dass Deutschland wirtschaftlich gut dastehe, ist ihrer Ansicht nach nicht damit zu begründen, dass es fast ausschließlich von Männern geführte Unternehmen gebe. Diese Argumentation stellt die gebürtige US-Amerikanerin in eine Reihe mit einem Jahrhunderte alten Volksglauben: "Wenn viele Babys in Dörfern mit vielen Störchen geboren wurden, dachten die Leute, die Störche bringen die Babys", sagt sie und fährt fort: "Deutschland hat viele Männer in Führungspositionen. Heißt das nun, alle deutschen Erfolge haben was mit den männlichen Führungskräften zu tun? Nein, sicher nicht!"
Auch Unternehmerin Bschorr reagiert gelassen auf das immer wieder angebrachte Argument, die gute Position der deutschen Wirtschaft sei ohne Frauen erreicht worden, deshalb müsse sich auch nichts ändern: "Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel lassen nicht auf sich warten, außerdem rückt die Welt immer näher zusammen. Diese Vergleiche werden immer öfter angestellt werden und ich kann mir nicht vorstellen, dass die nächsten Generationen von jungen Frauen mit dieser Situation zufrieden sein werden."
Gesellschaftlicher Wandel
Eine der Hauptschwierigkeiten der Frauenquote ist, dass sie negativ besetzt ist und oft als eine Strafmaßnahme für Unternehmen interpretiert wird. Deshalb sollte sie am besten durch den Begriff "proportionale Repräsentation" ersetzt werden, findet Heather Hofmeister. Damit werde deutlich, dass sie sich an den Realitäten in fast allen anderen gesellschaftlichen Bereichen orientiere. "Die deutschen Frauen sind gut, sie können wirklich viel. Aber ein Leben lang in einer Gesellschaft zu leben, die sagt 'Du sollst nicht! Du darfst nicht!' - das wirkt sich aus."
Doch die Veränderungen müssen sich ihrer Ansicht nach auch auf andere Bereiche ausdehnen: Frauen müssten gleiches Geld für gleiche Arbeit erhalten, damit sie nicht mehr so abhängig sind von ihren Männern. Gleichzeitig sollte es Männern wie Frauen erleichtert werden, Familie und Beruf kombinieren zu können.
Typische Geschlechterbilder umkehren
In der aktuellen Debatte um Frauen in Führungspositionen geht es zwar nur um eine sehr kleine Gruppe von Frauen, doch diese kann eine Vorbildfunktion für alle Frauen des Landes haben. Aber das ist noch längst nicht alles, betont Rolf Pohl: "Möglicherweise fängt man auch bei der Umkehrung geschlechtlicher Rollenmodelle an, Diskussionen anders zu führen: Wie macht man den Beruf der Erzieherin attraktiver, dass er auch für Jungen geeignet ist und nicht als weiblich, als unterbezahlt und ohne Renommee und so weiter versehen ist?"
Letztlich geht es darum, in allen gesellschaftlichen Kontexten eine neue Normalität herzustellen, von der alle profitieren werden. Für die Soziologin Hofmeister ist klar: "Die Gleichberechtigung ist eine Männersache und eine Frauensache. Wenn Männer Zugang zu ihren Familien bekommen und Frauen Zugang zu einer sicheren beruflichen Zukunft und beide bessere Vorbilder für ihre Kinder sein können - das wird eine bessere Zukunft für die Gesellschaft ausmachen. Und die Quote ist ein Werkzeug dafür."