Aufschub für Griechenland
18. Oktober 2012"Ich wünsche mir, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel unmittelbar vor Beginn des EU-Gipfels im Deutschen Bundestag in Berlin. "There will be no Staatsbankrott in Greece", hatte Anfang der Woche der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in bestem Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch geäußert. Diese beiden Sätze, kombiniert mit dem wohlwollenden Auftritt der Kanzlerin bei ihrem Besuch in Athen, lassen den Schluss zu, dass der größte Einzahler in den Rettungsfonds Griechenland weiter helfen will.
Das glaubt Janis Emmanouilidis, Politik-Analyst bei der Denkfabrik "European Policy Centre" in Brüssel: "Grundsätzlich hat sich die Situation seit August mit Blick auf Griechenland sicherlich verändert. Die aktuelle Tendenz ist, dass man will, dass dieser Staat in der Euro-Zone verbleibt - aus guten Gründen sowohl für das Land als auch für die Euro-Zone insgesamt." Dieses versuche man jetzt schrittweise umzusetzen. "Das bedeutet nicht, dass man Griechenland automatisch unterstützt, sondern nur unter den Bedingungen, die man aushandelt", so Emmanouilidis im DW-Gespräch.
Griechische Regierung und Troika fast einig
Die Troika, also die Kassenprüfer von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, sind nach monatelangen Verhandlungen aus Athen abgereist. Aus Kreisen der EU-Kommission heißt es in Brüssel, die Troika werde die Fortschritte und Bemühungen würdigen. Die immer noch klaffende Haushaltslücke im Jahr 2013 wird auf den unerwartet starken Einbruch der Wirtschaftsleistung geschoben.
Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras sagte vor Beginn des EU-Gipfels, er sei zuversichtlich. Eine Einigung mit der Troika stehe kurz bevor. Erst Mitte nächster Woche, also nicht mehr rechtzeitig zum EU-Gipfel, wird der entscheidende Prüfbericht vorgelegt, heißt es in der EU-Kommission. Dann sollen die Finanzminister der Euro-Staaten entscheiden, ob Griechenland die nächste Kredittranche von 31 Milliarden Euro bekommt. Samaras präsentiert den übrigen Gipfelteilnehmern in Brüssel nur einen Zwischenstand.
"Griechen wollen zum ersten Mal wirklich reformieren"
An weiterer Hilfe zweifelt der deutsche Europa-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis nicht mehr. Er sieht gar eine "Kehrtwende" bei Bundeskanzlerin Merkel. Der FDP-Politiker mit griechischen Wurzeln glaubt, dass all diejenigen, die im Sommer von einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone gesprochen haben, jetzt Lügen gestraft würden. Zu den schärfsten Griechenland-Kritikern gehörten auch der Vorsitzende von Chatzimarkakis eigener Partei, Bundeswirtschaftsminister Phillip Rösler, sowie die bayerische CSU, die Schwesterpartei von Merkels CDU.
Die Bundeskanzlerin habe erkannt, dass die griechische Regierung ihre Auflagen erfüllen wolle, glaubt Jorgo Chatzimarkakis: "Die Griechen haben zum ersten Mal seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise mit dieser Regierung, geführt von Antonis Samaras, nicht nur so getan, als würden sie etwas umsetzen", sagte Chatzimarkakis der DW. Die neue Regierung habe nicht nur Steuern erhöht und Sparziele erreicht, sondern sie haben auch den Willen gezeigt, wirklich etwas ändern zu wollen.
"Auflagen zu streng"
Auch mit den neuen Hilfs-Milliarden sei Griechenland noch nicht gerettet, gibt der Europa-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD) zu bedenken. Der enorme Spardruck der Europäer führe zu einer Abschwächung der Wirtschaft, hoher Arbeitslosigkeit und sinkenden Steuereinnahmen. Ein Irrweg, glaubt Udo Bullmann: "Wir müssen uns nicht wundern, dass es Griechenland nicht besser geht als vor zwei Jahren, sondern schlechter. Wenn wir nicht bei den Auflagen umkehren, wird es schwierig."
Umgekehrt dürfe man die Griechen nicht aus ihren Pflichten entlassen, so der Europa-Abgeordnete Bullmann. "Die Staatsreform stockt. Das darf nicht passieren. Die Staatsreform muss umgesetzt werden. Ich hoffe, dass die Vernunft groß genug ist, dass wir am Ende sagen können, wir haben das Problem gelöst."
"Mischung aus Wut und Verzweiflung"
In Griechenland wird während des EU-Gipfels gestreikt. Die Menschen protestieren gegen die drastischen Sparmaßnahmen, die nach den Verhandlungen mit der Troika noch einmal verschärft werden. Insgesamt müssen in den nächsten Jahren 11,5 Milliarden Euro im Staatshaushalt gestrichen werden. Die griechische Wirtschaft steckt seit Jahren in einer tiefen Rezession. Besserung ist noch nicht in Sicht.
Die Rezession sei inzwischen bei allen Bevölkerungsschichten angekommen, sagt der Europa-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis, der viele politische Gespräche in Griechenland führt und im EU-Parlament für die Heimat seiner Vorväter wirbt. "Die Stimmung der Griechen ist eine Mischung aus Verzweiflung und Wut auf die eigenen Politiker, auf wohlhabende Griechen, die ihr Geld außer Landes gebracht haben, aber auch Unverständnis für das lange Zuwarten und Zuschauen der Europäer." Jetzt könnte sich das Bild von den Deutschen wieder etwas bessern, vermutet Chatzimarkakis: "Viele Griechen reiben sich jetzt verwundert die Augen und sind sich nicht so ganz sicher, ob diese Kehrtwende der Angela Merkel lange anhalten wird. Zu viele Zick-Zack-Kurven hat man aus Deutschland gesehen."
Spezielles Konto wird geprüft
Griechenland erhält seit dem Frühjahr 2010 bilaterale Kredite von einzelnen Euro-Staaten, Mittel vom Internationalen Währungsfonds sowie vom gemeinschaftlichen Rettungsfonds der Euro-Staaten (EFSF). Insgesamt hat der griechische Staat nach Angaben der EU-Kommission 148 Milliarden Euro bekommen, um Schulden zu bedienen, Banken zu retten und um laufende Ausgaben wie Gehälter und Renten zu zahlen. Letzteres soll sich nach einem Vorschlag Deutschlands möglicherweise ändern.
Geprüft wird die Einrichtung eines speziellen Kontos, auf das die Hilfen fließen sollen. Von diesem Konto könnten dann nur Schulden bedient werden. Überweisungen für den laufenden griechischen Staatshaushalt wären nicht möglich. Das soll den Sparwillen des griechischen Staates im Innern befördern, während er nach außen hin nicht bankrott geht. Diese Idee wurde bereits im März 2012 diskutiert und schließlich verworfen. Möglicherweise wäre Griechenland dann nicht mehr in der Lage, seine Polizisten, Beamten, Lehrer oder Krankenschwestern zu entlohnen.