Aufstand am Äquator
3. Juli 2015Auslöser der Unzufriedenheit ist eine von Präsident Rafael Correa geplante Reform der Erbschafts- und Immobiliensteuer. Außerdem hatte die Regierung vor kurzem Sonderzölle auf Importwaren eingeführt. Zunächst gingen nur Angehörige der Mittel- und Oberschicht auf die Straße. Doch mittlerweile haben sich auch Vertreter von Indigenen-Organisationen, Gewerkschaften und Ärzte den seit vier Wochen anhaltenden Protesten angeschlossen.
In den letzten Tagen ist die politische Polarisierung im Land noch stärker geworden. Präsident Correa übte sich in radikaler Rhetorik: In den einheimischen Medien bezeichnete er die Proteste als "sanften Staatsstreich". Sie seien der Versuch einer "konservativen Restauration durch mächtige Gruppen", die darauf abziele, auch die Fortschritte in den Nachbarländern mit progressiven Regierungen, darunter Bolivien, Venezuela, Argentinien und Brasilien, zunichte zu machen.
Die Opposition will sich nicht einschüchtern lassen. "Wenn die Regierung sich weiterhin taub stellt, werde ich zu einer Massendemonstration aufrufen", schrieb Mauricio Rodas, Bürgermeister von Quito, auf der Online-Plattform "Ecuador inmediato". Und weiter: "Die Regierung muss sich von ihrem überheblichen, autoritären Stil verabschieden, sie muss aufhören, Bürger zu verfolgen, die anders denken."
Vatikan soll vermitteln
Auch wenn Präsident Correa das umstrittene Steuergesetz mit Rücksicht auf den Besuch des Papstes vorübergehend zurückgezogen hat – die Proteste auf den Straßen gehen weiter. Nun hoffen alle Beteiligten auf ein diplomatisches Wunder aus dem Vatikan. Der ehemalige Außenminister Uruguays, Luis Almagro, seit kurzem Sekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA), bat Franziskus darum, beim Dialog mit den beiden verfeindeten Lagern zu vermitteln.
Nach Ansicht von Beobachtern macht Präsident Correa einen seiner schwersten politischen Momente durch. "Die Leute gehen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen auf die Straße, sondern auch, weil ihre bürgerlichen Freiheiten eingeschränkt werden", meint Ana Isabel López García vom GIGA Institut für Globale Studien. Die Regierung habe ihre Macht kontinuierlich ausgebaut und die Pressefreiheit eingeschränkt.
Staatschef Correa befindet sich mittlerweile nach einer Verfassungsreform in seiner dritten Amtszeit. Im Juni 2013 wurde zudem ein Mediengesetz erlassen, das die Berichterstattung über die ecuadorianische Regierungspolitik verändert. Das darin festgeschriebene Recht auf "verifizierte, ausgewogene, präzise und kontextualisierte Information über Angelegenheiten des öffentlichem Interesses" führte zu einer Welle von Sanktionen gegen einheimische Medien.
Kritiker an der Kandarre
Auch für Nichtregierungsorganisationen ist die Arbeit im Land schwierig. Im September 2014 schloss die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ihr Büro in Quito. Die Regierung von Ecuador habe sich das Recht vorbehalten, Einsicht in Jahrespläne politischer Stiftungen und NGOs zu nehmen und diese gegebenenfalls auch zu ändern. Dies sei nicht hinnehmbar, hieß es damals zur Begründung.
Trotz dieser Eingriffe in die Meinungsfreiheit genießt Correa bei der Bevölkerung in Ecuador weiterhin großen Rückhalt. Grund dafür ist die stabile Wirtschaftslage. Nach Angaben der Weltbank wuchs das Land 2012 um 5,2 Prozent und 2014 um 3,8 Prozent. Auch die Sozialprograme der Regierung wirkten sich positiv aus: Die Armut in der Bevölkerung verringerte sich zwischen 2006 und 2014 von 37 Prozent auf 22 Prozent.
Die Weltbank prognostiziert jedoch, dass die Wachstumsraten künftig geringer ausfallen werden. "Der Verfall des Ölpreises und die Stärkung des US-Dollars wirken sich negativ auf die Handelsbilanz aus, sie verteuern Exporte und verringern die Einnahmen für öffentliche Investitionen", heißt es in einer Bewertung. Vor diesem Hintergrund sei die Armutsbekämpfung eine große Herausforderung.
Will oder muss Correa deswegen die Erbschaftssteuern anheben? Die Debatte darüber ist dem Präsidenten auf jeden Fall politisch entglitten. "Im Zentrum von Quito, wo sich sonst die Regierungsanhänger versammeln, stehen jetzt Polizisten, die den Regierungspalast gegen Demonstranten schützen“, schreibt die ecuadorianische Menschenrechtsanwältin Karla Morales in der Zeitung "El Pais". Ihr Fazit dort: "Ein deutlicheres Symbol für die politische Krise gibt es nicht."