Das Fontane-Jubiläumsjahr hat begonnen
31. März 2019Deutsche Welle: Das Fontane-Jubiläumsjahr hat begonnen. Vor 200 Jahren wurde er geboren. Es sind viele Veranstaltungen angekündigt, Biografien, Neuauflagen seiner Bücher. Was bringt so ein Jubiläumsjahr eigentlich?
Regina Dieterle: Es ist schon sehr schön, dass jetzt einfach der Fokus auf Theodor Fontane gesetzt wird. Er ist ein so großartiger Autor. Man braucht vielleicht da und dort ein paar Hinweise, was man wirklich von ihm lesen soll - damit es nicht einfach in einer Event-Kultur untergeht.
Sie haben eine sehr detaillierte Biografie geschrieben. Fontane ist ja kein Unbekannter, seine Bücher durchaus heute noch populär. Gibt es überhaupt noch neue Quellen - oder schreibt man ein solches Buch, um sich im heutigen Sprachduktus an den Leser zu wenden?
Ja sicher, es geht darum, dass eine Biografie immer zu den gegenwärtigen Lesern spricht. Eine Biografie hat immer eine Laufzeit. Später wird man das wieder anders formulieren. Man hat aber wirklich auch noch ganz Neues finden können. Die Forschung ist sehr von der Teilung Deutschlands geprägt. Wir haben seit dem Mauerfall ganz neue Wege zu recherchieren. Manche Archive sind erst seit der Wende zugänglich. Seit Deutschland wieder vereint ist, kommt man viel leichter miteinander ins Gespräch und auch an die Quellen. Ich habe auch viele private Briefe gefunden.
…und dann haben Sie sich tatsächlich auch auf die Spuren Fontanes begeben.
Das Jubiläum öffnet natürlich auch den Weg zur Landschaft, die Fontane immer auch beschrieben hat: die Mark Brandenburg. Das muss man unbedingt gesehen haben, um ihn auch als Schriftsteller zu verstehen. Das habe ich quasi in den letzten 20 Jahren ganz intensiv betrieben, in diese Landschaft zu fahren, ihn selber zu erleben - und nicht nur in die Mark Brandenburg, sondern nach ganz Europa.
Warum soll man Fontane heute lesen, zum Beispiel seine Reiseliteratur?
Reden wir mal über sein Buch "Jenseits des Tweed" über seine Reise nach Schottland. Das war eine journalistische Reise, bei der er gedacht hat, ich leiste mir diese Reise, indem ich auch permanent schreibe, Reisefeuilletons verfasse. Wenn man dieses Buch heute zur Hand nimmt und sich auf dieselbe Reise begibt - es ist eine eigentliche Baedeker-Reise - dann sieht man noch immer, was Fontane gesehen hat. Es öffnet einem die Augen. Das ist einfach sehr bereichernd.
Genau so kann man auch durch die Mark Brandenburg reisen. Man liest die "Wanderungen" nicht von A bis Z, sondern genau vor Ort. Was Fontane dann dazu geschrieben hat, das ist unglaublich: Es entsteht vor dem eigenen Auge. Man sieht die Menschen wirklich, wie sie hier gelebt haben. Besser kann man es nicht machen, es ist so lebendig und hat überhaupt keinen Staub angesetzt.
Seinen Reisebüchern spricht man literarische Qualitäten zu. Bei seinen großen Romanen wie "Effi Briest" und "Der Stechlin" rühmt man auch die Beschreibung von Menschen und Landschaften. Was zeichnet den Roman-Schriftsteller Theodor Fontane aus?
Wir erleben die Landschaft, die Menschen in dieser Landschaft. Es sind wirklich europäische Romane. Er schreibt einen deutschen Roman, den man vergleichen kann mit den Romanen von Tolstoi, Balzac, Dickens, Thackeray. Es sind diese Art Romane, die wir heute noch gerne lesen, ohne dass wir viel Geschichts- oder viel Landschaftskenntnis haben müssen. Sie leben für sich. Sie führen uns natürlich in eine fiktionale Landschaft.
Aber es sind lebendige Konflikte: Wen soll man heiraten? Mit wem wird man unglücklich? Was geschieht, wenn man einen sogenannten Ehebruch verübt? Wie reagiert die Umwelt, wie die Gesellschaft? Kann ich als Frau ein Kind ohne Mann haben? Fontane behandelt diese Fragen wirklich so aktuell, wie wir sie uns heute auch noch stellen.
Er schreibt ja auch gegen Klischees an: Seine Romanfiguren sind ja alle nicht einseitig oder nur auf einen Charakterzug geeicht. Das ist eine große Kunst der Psychologie, die er da betreibt. Zeichnet Fontane das auch aus?
Er ist ein großer Psychologe und er lässt vor allem die Menschen sprechen. Das ist seine einzigartige Fähigkeit. Er sagt von sich selber auch: Das kann ich wirklich besser als jeder andere, nämlich das Plaudern. Aber Plaudern muss man richtig verstehen. Es sind große Dialoge, die ganz alltagssprachlich daherkommen, also sehr zugänglich sind. In der Art, wie wir sprechen, offenbaren wir uns.
Wenn wir sprechen, zeigen wir auch etwas von uns selbst, und das ist ja nicht nur Gut oder Böse oder Schwarz oder Weiß. Das versteht er durch den Dialog unglaublich gut zu zeigen. Zum Beispiel Effi Briest im Dialog mit der Figur des Apothekers oder im Dialog mit der Mutter, im Dialog mit dem Vater oder mit dem Ehemann. Immer sprechen wir ja ein bisschen anders. So entsteht das menschliche Porträt!
Plaudern ist ein gutes Stichwort. Sie haben Ihre Biografie eingeleitet mit einem Kapitel, das "Die doppelte Perspektive" heißt. Fontanes Vater galt als großer Plauderer. Diese doppelte Perspektive ist also gemünzt auf Werk und Leben. Sie haben beides in Ihrem Buch zusammengebracht. Inwiefern ist Fontanes Schreiben ein autobiografisches Schreiben?
Wenn man Fontane gut kennt, wenn man seine Familienverhältnisse und seine Lebenswelt gut kennt, dann sieht man, dass ein wichtiger Schreibimpuls aus seinem eigenen Leben stammt. Im Kern ist es sicher autobiografisches Schreiben. Dort berührt er uns am meisten.
Die doppelte Perspektive musste ich deshalb wählen, weil er ja zu dem großen Werk, das wir heute selbstverständlich als Meisterwerk anschauen, wirklich erst spät gekommen ist. Die Romane schreibt er erst ab 60 Jahren!
Und das ist wirklich ein Problem für eine Biografin: Wie kann ich denn jemanden interessant machen für den Leser, die Leserin, der so spät erst zu seinem Eigentlichen kommt? Ich habe gemerkt, dass in diesem ganzen Werk, nicht nur in den Romanen, auch in den Balladen, in den Wanderungen, sehr viel von dem steckt, was er selber erlebt hat - und so habe ich eigentlich von Anfang an das Werk mit dabei.
Als "revolutionären Reaktionär" hat ein Kritiker (Volker Weidermann im "Spiegel") Fontane jetzt beschrieben. Kann man Fontane als politischen Schriftsteller einordnen?
Ja das stimmt. Man muss ihn aber auch in seiner Entwicklung sehen: Seine Familie war recht königstreu und konservativ. Er, als einziger in der Familie, hat sich daraus wirklich gelöst. Im Vormärz schreibt er so herrlich revolutionäre Gedichte, auch freche Berliner Gedichte. Da ist er ganz Revoluzzer. Aber dann, als die Revolution von 1848 scheitert, rutscht er immer mehr nach rechts.
In der reaktionären Zeit verdient er dann sein Brot bei der konservativen Regierung, nicht nur einfach um des Brotes willen. Das hat sich beim Recherchieren bestätigt. Er hat sich an die Regierungspresse "verkauft", wie er selber sagt, er übernimmt auch Positionen der Regierung und später der konservativen "Kreuzzeitung". Aber dabei bleibt er nicht. Vom alten Fontane haben wir den herrlichen Satz, er "schnappe mal noch über in seinem demokratischen Weltbürgertum".
Volker Weidermann vom "Spiegel" schreibt, er ist wie eine Kugel: Er lässt sich drehen und wenden und er bleibt nie bei seinen festen Positionen, er kann sie auch wechseln. In dem Sinne ist er schon ein Phänomen. Lange Zeit hat er sich auch wirklich politisch einbringen wollen, aber später ist er immer mehr Beobachter und beobachtet eben auch mit viel Selbstironie, wie man Positionen wechseln kann.
Das Gespräch führte Jochen Kürten.
Regina Dieterle: Theodor Fontane, Biografie, Hanser Verlag, 832 Seiten, ISBN 978-3-446-26035-1.