Aus dem Ghetto in die Charts
21. Februar 2006
Seine harten Texte über Gewalt, Sex und Drogen haben in den Medien und in den Behörden eine heftige Diskussion ausgelöst - darüber, was sein darf und was nicht. Wo ist die Grenze, an der künstlerische Freiheit aufhört? Muss der Staat eingreifen, um Minderjährige vor jugendgefährdenden Inhalten zu schützen? In den vergangenen Monaten wurden gleich mehrere deutsche Hip-Hop-Alben auf den Index gesetzt. Eins davon - ein Sampler mit dem Titel "Aggro Ansage Nr. 2" - ist im Januar nun in "entschärfter" Version neu erschienen.
Überraschungshit mit "Mein Block"
Ein tristes Hochhaus in der Abendsonne. Drogenabhängige, Prostituierte, Falschgelddrucker. Im sechzehnten Stockwerk hat sich jemand aufgehängt. So erzählt es der Reiseführer, ein breitschultriger Typ, der sein Gesicht hinter einer silbernen Totenkopf-Maske versteckt. Der Typ heißt Sido und ist Rapper in Berlin, die Szene stammt aus einem seiner Musikvideos. Mit dem Song "Mein Block" landete er 2004 einen Überraschungs-Hit - und heimste den Musik-Preis "Comet" ein.
Antwort auf den "Gangsta Rap"
Sido gehört zum Label "Aggro Berlin", mit dem eine neue Rapper-Generation auftauchte - die deutsche Antwort auf den amerikanischen "Gangsta Rap". Sie sprechen nicht nur offen über Drogenmissbrauch und andere Straftaten, sondern schildern auch brutale Geschlechtspraktiken bis hin zu Vergewaltigungen. Rapper Bushido, der selbst bereits wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis war, besingt sich in dem Song "Electro Ghetto" als "Leader wie A" - sprich: Adolf Hitler.
Index zum Schutz der Jugend
Die Anspielungen auf die Nazis, Gewaltverherrlichung und Pornografie gehen deutschen Sittenwächtern und Medien klar zu weit. Deshalb hat auch die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien bei drei Alben von Bushido und der Debüt-CD von Sido die Bremse gezogen: Da könne man nicht mehr mit künstlerischer Freiheit argumentieren, entschieden sie - und setzten die Platten auf den Index. Damit sind sie zwar noch erhältlich, aber nur für Leute über 18 Jahren. Und die richtig kritischen Songs dürfen weder im Radio noch im Fernsehen gespielt werden. Das Gremium habe festgestellt, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Mitleidsfähigkeit abstumpfen, dadurch dass sie Gewalt verherrlichende Schilderungen hören. Zum anderen komme eine sehr starke Frauenfeindlichkeit der Texte hinzu, sagt Petra Maier von der Bundesprüfstelle. "Frauen werden fast durchgängig nur mit negativen Worten wie 'Nutte' bezeichnet. Und auch das hielt das Gremium für verrohend."
Songs bedienen Stereotypen
Kritik kommt auch aus der Szene selbst: Hannes Loh, in den 1990ern Hip-Hop-Pionier mit der Gruppe "Anarchist Academy" und heute Autor zahlreicher Fachbücher, wirft den Rappern vor, Stereotypen zu bedienen: "Bushido inszeniert sich als der aggressive Araber, der genau das macht, wovon eine Mehrheit der Deutschen dann auch überzeugt ist, dass das Araber und Türken machen, nämlich Dealen und Kokain nehmen und Frauen schlagen."
Hannes Loh findet es zwar richtig, dass die Platten auf dem Index gelandet sind. Er nimmt aber auch die sozialen Probleme ernst, die hinter diesen Texten stecken. Schließlich zeigten sie Missstände auf, die in den deutschen Vorstädten bestehen: "Die sind ja selbst Opfer einer Gesellschaft, die sie zu arbeitslosen, bildungsfernen kleinen Hampelmännern abstempelt. Und das einzige was sie haben ist ihr Penis und ihre große Fresse." Eigentlich sei das Mitleid erregend, sagt Loh.
Gangsta Rap ohne Tote
Einige Rapper zeigen sich bereits geläutert: Sido macht mit sozialem Engagements für Kinder und Jugendliche aus seinem Viertel auf sich aufmerksam. Und der Rapper Curse ist mit einem Lied in den Charts, das die Jugendlichen davor warnt, das nachzumachen, was ihre Gangsta-Idole ihnen vorrappen. Denn - so Curse - Gangsta Rap ist nur gut, solange niemand umgebracht wird.