"Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen..."
13. August 2009Helmut Rahn hat in seiner Karriere viele Tore geschossen. Aber keines war so bedeutend, wie der entscheidende Treffer im Weltmeisterschaftsfinale 1954 gegen Ungarn. Das 3:2 gegen die überlegenen Ungarn gab den Deutschen, die schwer an der Schuld und der Niederlage im Zweiten Weltkrieg trugen, ihren Nationalstolz zurück und machte Rahn zu einem der ersten Volkshelden im Nachkriegsdeutschland.
Gefördert wurde diese Popularität auch durch die unvergessene Radioreportage von Herbert Zimmermann: "Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt... Tor, Tor, Tor!" Rahn, ein Essener Bergmannssohn, der von allen nur der Boss genannt wurde, hatte aber nicht nur bei der WM 1954 Erfolg. Seinen Verein Rot-Weiss Essen führte er 1953 zum Pokalsieg, zwei Jahre später gegen den 1. FC Kaiserslautern, bei dem fünf aktuelle Weltmeister spielten, sogar zur Deutschen Meisterschaft.
Rahn und Walter - ein ungleiches Paar
Rahn galt als Frohnatur. Wo er war, herrschte gute Laune. "Wir mussten früher zur Nationalmannschaft mit dem Zug anreisen", erinnert sich Hans Tilkowski, ehemaliger Nationaltorhüter und Mannschaftskamerad. "Wenn ich in Herne eingestiegen bin, dann sind der Boss und Fritz Herkenrath in Essen eingestiegen, in Düsseldorf und Köln weitere Spieler. Da war natürlich die Stimmung schon riesengroß. Und Helmut Rahn war derjenige, der für die Stimmung gesorgt hat."
Darauf hatte während der WM 1954 auch Nationaltrainer Sepp Herberger gebaut. Er steckte den lebhaften und ausgelassenen Rahn mit seinem sensiblen Mannschaftskapitän Fritz Walter in ein Zimmer. "Eigentlich haben sich auch beide nötig gehabt", sagte Herberger später. "Auch der Helmut Rahn hatte einen Mann nötig von der Art des Fritz Walter. Seine Einstellung und seine Art haben erreicht, dass der Helmut auf dem Boden blieb." Gleichzeitig sorgte Rahn dafür, dass der stille Walter aus sich heraus kam und weniger über die anstehenden Spiele nachgrübelte.
"Ich bin im Allgemeinen etwas ruhig, während der Helmut vor Temperament überschäumt", erzählte Walter über die gemeinsame Zeit im Hotelzimmer von Spiez am Thuner See. "Er ist oft schon um sieben Uhr auf den Balkon gestürmt, ist mit einem Hechtsprung wieder ins Bett und hat so getan, als ob er wieder fest schliefe. Ich habe Tränen gelacht und damit war die Stimmung schon für den gesamten Tag gerettet.“ Auch die mannschaftliche Geschlossenheit brachte schließlich den großen Erfolg bei der WM.
Probleme mit der Justiz
Ein Erfolg, der letztlich dafür sorgt, dass das Leben von Helmut Rahn aus der Bahn gerät. Immer wieder muss er an den Theken der Essener Kneipen die Geschichte von seinem Tor erzählen. Zu viele Schulterklopfer, zu viel Bier. Rahn driftet ab, macht immer häufiger mit Alkoholeskapaden Schlagzeilen. Seine Liebe zum Bier hat Rahn nie geleugnet. "Ich kenne auch wenig Fußballer, die sich nach dem Spiel nicht mal ein Glas Bier erlauben", sagte er.
1957 fährt Rahn mit seinem Auto betrunken in eine Baugrube. Als die Polizei kommt, wehrt er sich mit Faustschlägen gegen die Festnahme. Für zwei Wochen kommt er ins Gefängnis. Nationaltrainer Sepp Herberger ist es, der Rahn wieder auf den Boden holt. Er beruft ihn ins Aufgebot für die Weltmeisterschaft 1958 in Schweden. Rahn dankt es ihm mit sechs Toren.
Wechsel ins Ausland und Ende in der Nationalmannschaft
Die guten Leistungen Rahns bleiben auch im Ausland nicht unbemerkt. Schon früher hatte Rahn Angebote von Real Madrid und aus Südamerika bekommen, die er aber ausschlug. Erst 1960 wechselt er für drei Jahre ins Ausland. Von seinem niederländischen Verein SC Enschede erhält er 150.000 Mark. "Wenn man Fußball spielen kann", so Rahns Begründung damals, "soll man letztendlich auch dahin gehen, wo man ein bisschen Geld verdienen kann. Und ich glaube, das wird mir keiner von meinen Kameraden verübeln."
Übel nimmt ihm den Wechsel Sepp Herberger, der nicht bereit ist Auslandsprofis in der deutschen Mannschaft spielen zu lassen. Die Partie gegen Portugal im April 1960 bleibt das letzte Länderspiel von Helmut Rahn. Der fällt auch in seiner neuen niederländischen Heimat negativ auf: Eine erneute Alkoholfahrt bringt ihm drei weitere Wochen im Gefängnis ein.
Rückkehr in die Bundesliga
1963 - mit dem Start der Bundesliga - kehrt Rahn nach Deutschland zurück und stürmt für den Meidericher SV in Duisburg. Mit dem Weltmeister im Team holen die Meidericher überraschend die Vizemeisterschaft hinter dem 1.FC Köln. Rahn schreibt Bundesligageschichte, als er am vierten Spieltag der Saison, als erster Spieler die rote Karte bekommt und vom Platz gestellt wird. Insgesamt schießt acht Tore, spielt allerdings nur 19 Mal.
"Wenn man älter wird, mit den Gewichtsschwierigkeiten, die man da hat, muss man sich ein bisschen einschränken", sagte Rahn 1964 über seine schwindende Form. "Ich weiß heute, dass ich älter geworden bin und mit meiner Kraft sparsamer umgehen muss." Eine Verletzung an der Achillessehne sorgt 1964 schließlich dafür, dass Rahn seine Karriere beenden muss.
Rückzug ins Private
Gemeinsam mit seinem Bruder betreibt Rahn - der nie eine Ausbildung gemacht hat - einen Handel für Gebrauchtwagen. Später arbeitet er für eine Entsorgungsfirma. Aus der Öffentlichkeit zieht er sich mehr und mehr zurück, redet kaum noch mit den Medien. Zu oft musste er falsches in den Zeitungen über sich lesen.
In seinen letzten Lebensjahren kümmert sich Rahn um die Familie - seine Ehefrau Gerti und die beiden Söhne. Er verbringt viel Zeit in seinem Schrebergarten und schaut sich ab und zu ein Spiel der Kreisliga an. Die große Fußballbühne meidet er. Am 14. August 2003 stirbt Helmut Rahn nach langer Krankheit - zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag. Um ihn selbst war es still geworden, unvergessen aber bleibt das wichtigste Tor seiner Karriere.
Autor: Andreas Ziemons
Redaktion: Stefan Nestler