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Aus der Not geboren

Peter Philipp17. November 2003

Am vergangenen Wochenende (15.11.) haben die USA einen Zeitplan für die Rückgabe der Souveränität an den Irak vorgelegt. Doch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, meint unser Kommentator Peter Philipp.

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Bislang hatte Washington vor einer Festlegung zurückgescheut, erst einmal sollten eine Verfassung verabschiedet und allgemeine Wahlen abgehalten werden. Zweifellos unter dem Eindruck der anhaltenden Terrorangriffe auf die Besatzungstruppen wurde jetzt ein neuer Kurs eingeschlagen.

Allerdings kann von einem Rückzug der Amerikaner keine Rede sein: Die USA werden weiterhin mit Truppen im Land präsent sein, denn, so der Verwalter Paul Bremer wörtlich: "Wir haben es jetzt mit Tausenden von Terroristen im Lande zu tun, und die werden auf keinen Fall bis Juni verschwunden sein." Außerdem werden die Amerikaner an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt sein, um zu garantieren, dass klassische westliche Verfassungselemente wie Grundrechte und Gewaltenteilung berücksichtigt werden.

Der Weisheit letzter Schluß dürfte der neue Plan Washingtons für die weitere Entwicklung im Irak kaum sein. Genauer betrachtet ist es auch kein "Plan B", sondern eher eine Neuauflage von "Plan A". Denn eine breite Volksversammlung, die eine Übergangsregierung wählen soll, das war der Plan des glücklosen ersten amerikanischen Zivilverwalters im Irak, des Ex-Generals Jay Garner. Er wurde dann aber durch den Diplomaten Paul Bremer ersetzt, von dem sich Washington raschere Fortschritte erhoffte.

Statt dessen begann die tägliche Gewalt sich zu steigern. Bremer setzte einen "Regierungsrat" ein, als Zeichen dafür, dass die Iraker einen Teil der Amtsgeschäfte übernommen haben. Nur: Die Mitglieder dieses Rates sind sich untereinander nicht grün, und Washington lässt keinen Zweifel daran, dass das letzte Wort bei Bremer liegt. Unter dieser Voraussetzung war und bleibt es so gut wie unmöglich, eine neue Verfassung zu entwerfen, die die Zustimmung einer Mehrheit des Regierungsrates finden würde, geschweige denn, einer Mehrheit der Bevölkerung.

Diese Bevölkerung ist längst enttäuscht vom Ausbleiben der zu optimistisch erhofften Normalisierung und verunsichert durch die immer häufigeren Angriffe auf die Koalitionstruppen. Je mehr diese in die Defensive gedrängt werden, desto mehr hält sich die Bereitschaft der Bevölkerung in Grenzen, mit der Koalition zusammen zu arbeiten – und erst recht nicht mit dem Regierungsrat, der zwar einen Querschnitt der Iraker repräsentiert, von weiten Kreisen aber trotzdem der Kollaboration bezichtigt wird.

Das ist eine makabre Situation: Washington will sicher lieber früher als später das Irak-Abenteuer beenden, es möchte auch den Ansatz zu einer Demokratie schaffen. Aber ihm gehen immer rascher die Leute abhanden, die auf irakischer Seite geeignet wären, dabei mitzuarbeiten. Eine Alternative für die US-Truppen bietet sich auch nicht an. Die Vereinten Nationen hoffen sehnlichst, dass man ihnen nicht jetzt die Aufgabe des "nation-building" im Irak anträgt.

Und ein amerikanischer Abzug ohne Ersatz kommt wohl erst recht nicht in Frage: Washington würde damit das völlige Scheitern eingestehen, aber auch für die Iraker wäre das verheerend: Das Vakuum würde mit Sicherheit zum Bürgerkrieg führen und letztlich vielleicht sogar das altre Regime zurückbringen.

Ein amerikanischer Abzug ist natürlich auch nach dem neuen Plan nicht vorgesehen: Die Übergangsregierung werde die Präsenz von Koalitionstruppen dann aushandeln, heisst es. Im Klartext: Man wird sich auf diese Truppen stützen, wie schon einmal: Die Briten gaben dem Irak 1932 die "Unabhängigkeit", sie blieben bis 1958 dort.