Aus Syrien geflohen, in Ägypten bedroht
21. Oktober 2013Für Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs ist Ägypten lange Zeit ein sicherer Zufluchtsort gewesen, doch nun fühlen sie sich am Nil nicht mehr geschützt. Viele von ihnen werden von Einheimischen angefeindet und von der Polizei auf unbestimmte Zeit weggesperrt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in einem neuen Bericht zahlreiche Fälle von Behördenwillkür am Nil dokumentiert.
Auch die Vereinten Nationen kritisieren, dass syrische Flüchtlinge in Ägypten Repressalien ausgesetzt seien und deshalb versuchten, auf dem illegalen und lebensgefährlichen Seeweg nach Europa zu gelangen. Schätzungen zufolge leben 250.000 bis 300.000 Syrer in Ägypten, knapp 123.000 sind beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR als Flüchtlinge registriert.
Als Mitte September etwa 200 Syrer von Alexandria aus Richtung Italien in See stachen, kamen sie nicht weit. Ein ägyptisches Marineschiff stoppte laut Augenzeugen in dem Amnesty-Bericht das Boot, feuerte einige Schüsse ab und tötete zwei Menschen. Alle anderen Insassen wurden demnach festgenommen. Am selben Tag soll die Polizei in einem Café in Alexandria weitere 70 Flüchtlinge eingesperrt haben. Ihnen warfen die Behörden den Angaben zufolge den Versuch der "illegalen Einreise" vor. Ähnliche Fälle gebe es zuhauf.
Auch Kinder in unbefristeter Haft
Laut Sherif Elsayed Ali, Leiter der Amnesty-Abteilung für Flüchtlingsrechte, sitzen Hunderte von Syrern in Gefängniszellen entlang der Mittelmeerküste. "Obwohl ihre Freilassung von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, werden sie seit Wochen festgehalten. Darunter sind Familien und Kinder von nur einem Jahr", beklagt Ali im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Sprecher des UNHCR, Adrian Edwards, berichtet von 800 Menschen, die unter ähnlichen Umständen in Polizeigewahrsam kamen, darunter mehr als 40 Kinder.
Eine offizielle Begründung für die unbefristete Haft gibt es nicht. Ali vermutet dahinter den Versuch, die Syrer unter Druck zu setzen. Sie sollen einer Abschiebung zustimmen. Hunderte von ihnen wurden dem Menschenrechtsaktivisten zufolge bereits in Länder wie Libanon oder die Türkei ausgeflogen. "Wir wissen auch von zwei Fällen, in denen Gruppen mit bis zu 71 Leuten gezwungen wurden, nach Damaskus zurückzukehren." Damit flogen sie in den Krieg zurück, dem sie entkommen wollten.
Doch nicht nur die Polizei setzt den Geflohenen zu. Auch viele Ägypter wollen sie loswerden. Die Bürgerkriegsflüchtlinge gelten als Anhänger der ägyptischen Muslimbruderschaft, aus deren Reihen der gestürzte Präsident Mohammed Mursi stammt. "Das hat eine Menge Paranoia und schlechte Stimmung gegen die syrische Gemeinschaft erzeugt", erklärt Edward Leposky, UNHCR-Mitarbeiter in Kairo.
Hetze gegen Flüchtlinge
Seit dem Sturz von Mursi Anfang Juli hat sich die Lage für die Flüchtlinge massiv verschlechtert. So drohte der einflussreiche Talkshow-Moderator Tawfiq Okasha laut Amnesty-Bericht: "Wenn ihr in 48 Stunden noch mit den Muslimbrüdern zusammen seid, werden die Menschen kommen und eure Häuser zerstören." Tatsächlich habe es körperliche Angriffe und wüste Beschimpfungen gegen Flüchtlinge gegeben, berichtet Leposky. Außerdem seien Syrer aus ihren Jobs vertrieben worden.
Das war am Nil nicht immer so. Einst waren Syrer in Ägypten gern gesehene Gäste, erinnert sich Leposky. Auch als die ersten Flüchtlinge eintrafen, habe die damalige Regierung sich noch für sie eingesetzt. Es sei leicht gewesen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Viele Syrer, die ursprünglich in den Libanon oder nach Jordanien geflohen waren, seien nach Ägypten weitergereist. "Sie wurden hier willkommen geheißen, und die Lebenshaltungskosten waren niedriger als in den Ländern, in denen sie vorher lebten", berichtet der UNHCR-Experte.
Die Flüchtlinge leben mit den Einheimischen
Willkommen sind sie nun nicht mehr. Das bekommen sie in Ägypten direkt zu spüren, weil sie mitten unter den Einheimischen leben. Anders als in Jordanien oder der Türkei gibt es in Ägypten keine Flüchtlingslager. Das sei auch Teil des Problems, sagt UNHCR-Sprecher Edwards in London. Die Geflohenen brauchen Unterkunft und Lebensunterhalt. Doch ihr weniges Geld ist schnell aufgebraucht. "Sie hängen zu einem großen Teil von der Hilfe der Aufnahmegesellschaft ab und von dem, was wir ihnen geben", schildert Edwards die Lage.
Das vorherrschende Gefühl unter den Familien aus dem Kriegsgebiet beschreibt Leposky als Sorge und Frust. Eine Syrerin, deren Ehemann in einer ägyptischen Gefängniszelle einsitzt, klagt in dem Amnesty-Bericht: "Wir sind bereit, uns in jedem Land niederzulassen, in dem wir sicher leben können. Hier können wir nicht länger leben."