IS-Prozess: "Ich war blind und dumm"
10. August 2015"Ich habe erwartet, dass alles schön wird. Lachen, kickern, grillen, Frauen, Autos und dann wurde man eingesperrt." Als er in dem syrischen IS-Auffanglager angekommen sei und die Türen sich hinter ihm mit einem lauten Geräusch verschlossen, habe es auch bei ihm Klick gemacht, sagt der 26-jährige Deutsch-Tunesier Ebrahim H. B. vor dem Oberlandesgericht in Celle. "Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass ich in großen Problemen stecke." Doch da war es bereits zu spät. Von Wolfsburg war er über die Türkei nach Syrien gereist, hatte sich dem Islamischen Staat angeschlossen und stand nun vor der Entscheidung: Kämpfen oder einen Selbstmordanschlag verüben?
"Ich glaube bis heute nicht, dass ich in diesem Moment auf dieser Anklagebank sitze. Ich bin sehr froh, dass ich hier bin und mich mit Ihnen unterhalten kann." Ebrahim H. B. sagt, er sei erleichtert. Hinter einer hohen Glasscheibe des Gerichtssaals sitzt der junge Mann in ordentlichem Hemd und Pullover. Eingesperrt hinter deutschen Mauern fühlt er sich sicher. Neben ihm sitzt sein Freund und Mitangeklagter Ayoub B., 27 Jahre jung. Beide müssen sich hier dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung stellen. Ebrahim H. B. soll sich außerdem als Selbstmordattentäter gemeldet haben. Das gibt der junge Mann auch zu. Allerdings sei es nur ein Vorwand zur Flucht gewesen.
"Ich war nie besonders religiös"
Er wäre zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen - so einfach versucht Ebrahim H. B. das für viele so Unbegreifliche zu erklären. Nur "zwei bis drei Wochen" sollen vom ersten Treffen in einer Moschee bis zu seiner Ausreise vergangen sein. "Ich wollte einfach nur weg."
Der Grund soll seine abgesagte Hochzeit gewesen sein: "Ich war nie besonders religiös. Ich kann bis heute nicht richtig beten und hatte auch nie was mit Salafisten und Terroristen zu tun." Detailreich erzählt Ebrahim H. B. von den Vorbereitungen seiner Hochzeit: dass der Festsaal schon angemietet gewesen sei, die Torte ausgesucht: "Ich und meine Verlobte haben diskutiert, welcher Name zuerst auf der Torte steht. Wir hatten schon einen Namen für unser erstes Kind." Doch dann gab es Streit in der Familie, ein Onkel fühlte sich hintergangen, er soll dafür gesorgt haben, dass die Feier nicht stattfand. "Jeder wusste, dass ich heiraten wollte, das war der größte Schock für mich."
Bei seinen Freunden in der Moschee fand Ebrahim H. B. Unterstützung, die ihm seine Familie zu diesem Zeitpunkt nicht geben konnte: "Sie waren wie Brüder für mich. Ich bin gestolpert in meinem Leben und sie haben mich aufgefangen." Die Männer, die sich damals regelmäßig in der Moschee trafen, werden heute als die "Wolfsburger Zelle" bezeichnet: Eine Gruppe von rund 20 Muslimen aus der norddeutschen Stadt, die 2013 und 2014 nach Syrien ausreiste, um sich dort dem IS anzuschließen.
Die "Vorträge" des Yassin O.
Angezogen wurden die Männer vom IS-Prediger Yassin O.. Um ihn scharten sie sich regelmäßig, wenn er in die Moschee kam und seine "Vorträge" hielt, wie Ebrahim H. B. erzählt: "Er machte den Eindruck, dass er auf alle Fragen eine Antwort hatte", erklärt er die Faszination, die die gesamte Gruppe für den Prediger entwickelte: "Alle hatten Respekt vor ihm." Dann reiste ein Wolfsburger nach dem anderen aus und auch Ebrahim H. B. entschied sich, seinen Freunden zu folgen. Er könne vier Frauen heiraten und bekäme einen Ausweis, mit dem er umsonst tanken und einkaufen gehen könne, so habe ihm Yassin O. das Leben in Syrien beschrieben. "Ich gebe zu, dass ich da blind und dumm war."
Er habe jeden Schritt bereut, den er in Richtung des IS gemacht habe, sagt Ebrahim H. B. heute. Doch da sind noch die vielen "Kleinigkeiten", auf die der Richter bei seinen Nachfragen eingeht. Beispielsweise die Sache mit dem abgehackten Kopf. In einem TV-Interview hatte Ebrahim H. B. sich bereits vor Prozessbeginn zu seiner Zeit beim IS geäußert. Nachdem IS-Soldaten ihn der Spionage verdächtigt hatten, sollen sie zur Abschreckung eine Leiche in den Raum, in dem er sich befand, geworfen haben.
IS-Rückkehrer: Fälle für Therapeuten
Im Fernseh-Interview hatte er erzählt, die IS-Soldaten hätten den Kopf auf die Leiche gelegt. Doch auf Nachfragen des Richters sagt Ebrahim H. B., die Leiche sei in eine Tagesdecke gewickelt gewesen und er hätte nicht sehen können, ob der Kopf noch dran war oder nicht. Widersprüche wie diesen versucht er mit seiner Angst und seinem psychischen Zustand zu erklären: "Die zweieinhalb Monate waren für mich wie ein Filmriss. Wenn Sie in so einem Raum sitzen und da wirft einer eine Leiche rein, dann fangen Sie nicht an, die in Ruhe zu beobachten." Nach seiner Rückkehr nach Deutschland habe er bereits "mehr als hundert psychologische Beratungsstunden" gehabt. Er lebe in ständiger Panik. Als der Brief vom Bundesgerichtshof kam, habe er befürchtet, man bringe ihn nach Guantanamo oder in die USA. "Ich habe meinen Anwalt angerufen und gefragt: Werde ich hingerichtet?"
Ebrahim H. B. und dem Mitangeklagten Ayoub B. drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft. Ayoub B. wird neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. Laut Anklage soll er an Kampftrainings teilgenommen und auch zur Waffe gegriffen haben. Das hatte der 27-Jährige in der vergangenen Woche bestritten. Er habe lediglich den Koran studieren und "humanitäre Hilfe" leisten wollen.