Ausflug statt Abstimmung in Teheran
20. Februar 2004
Das Leben in Teheran geht seinen normalen Gang und kaum etwas lässt im Straßenbild vermuten, dass das Land ein neues Parlament wählt. Kleine Wahlzettel - größere Plakate sind verboten - sind nur an wenigen Stellen zu sehen, während bei den letzten Wahlen vor vier Jahren Hauswände, Laternenmasten und Schaufenster davon übersät waren. Und auch Handzettel werden diesmal nur selten - und eher verschämt - verteilt. Wenn eins deutlich wird, dann dies: Die vorausgesagte Apathie der Bevölkerung bestätigt sich. Man scheint nicht viele Gedanken an die Wahl zu verschwenden, man kämpft sich durch die unveränderten Staus der 16-Millionen-Stadt, von der doch niemand so recht weiß, wie viele Einwohner sie wirklich hat.
Parties statt Wahlveranstaltung
Und die Jugend, die einst den Reformanhängern von Präsident Mohammed Chatami zum Sieg verholfen hatte, diese Jugend bevölkert westlich aussehende Fast-Food-Lokale oder kurvt bis spät in die Nacht durch die mondänen Gassen von Nord-Teheran - gewiss nicht auf der Suche nach Wahlveranstaltungen, sondern eher nach Parties, deren Adressen man sich von Auto zu Auto per Mobiltelefon weitergibt.
Immerhin werden die Mobiltelefone aber auch für und gegen die Wahl eingesetzt: Wird man in Europa immer öfter von unerwünschten Werbemitteilungen auf dem Handy genervt, so sind es in Teheran Appelle per SMS, am Freitag zur Wahl zu gehen - oder aber auch, ihr fernzubleiben.
Es fehlt die echte Alternative
Die meisten Iraner scheinen den Aufruf zur Wahlabstinenz aber nicht nötig zu haben: Für sie steht seit Wochen fest, dass dies keine echte Wahl sein wird und dass es keinen Sinn macht, die Stimme abzugeben. Zumal in über 100 Wahlkreisen des Landes ohnehin nur ein Kandidat antritt und es dort nichts zu wählen gibt. Aber selbst dort, wo mehrere Kandidaten antreten, fehlt die echte Alternative. Besonders, aber nicht erst seit der massiven Disqualifizierung von Kandidaten durch den mächtigen Wächterrat: Dieser hat fast ein Drittel der ursprünglich gemeldeten 8000 Kandidaten ausgeschlossen. Unter ihnen auch solche, die jetzt im 6. "Majlis" sitzen - dem 6. Parlament seit der iranischen Revolution vor 25 Jahren.
Ein Teil der Ausgeschlossenen wurde inzwischen zwar wieder zugelassen, die Mehrheit blieb jedoch disqualifiziert. Unter ihnen auch so prominente Leute wie der Bruder von Präsident Chatami - Reza - der die größte Reformbewegung "Musharekat" anführt und der wie die meisten dieser Gruppe dem nächsten Parlament nicht mehr angehören wird.
Ausflüge statt Abstimmung
Reza Chatami nimmt deswegen auch keine Rücksicht mehr: Das Land brauche eine Trennung von Politik und Religion, meint er in einem Interview - und viele Iraner stimmen ihm zu. Nur: Sie wissen nicht, wie solch ein Ziel zu erreichen ist.
Derselbe Wächterrat, der jetzt den Ausgang der Wahlen vorbestimmt, wird natürlich auch eine solche Trennung verhindern. Und er wird auch verhindern, dass die Iraner darüber eine Volksabstimmung abhalten, wie in privaten Gesprächen immer öfter zu hören ist. Und der Wächterrat wird sein Verhalten mit den Rechten und Pflichten begründen können, die die Verfassung ihm erteilt. Einer Änderung dieser Verfassung wiederum wird er nie zustimmen. Erst recht nicht, wenn im künftigen Parlament eine Mehrheit von konservativen Abgeordneten sitzt.
So ist es denn nicht verwunderlich, wenn viele Iraner sich für den Freitag Ausflüge vorgenommen haben, um nur nicht zur Wahl zu gehen. Und wenn abends schon mal ein Autokorso mit lautem Hupen durch die Stadt fährt, dann ist das sicher eine Hochzeitsgesellschaft und hat nichts mit den Abstimmungen zu tun.