Ausgebeutete Hausmädchen im Libanon
6. Oktober 2010Rund 200.000 ausländische Hausangestellte leben zur Zeit im Libanon. Sie kommen aus Äthiopien, Nepal, Sri Lanka und von den Philippinen, um Geld für ihre Familien in der Heimat zu verdienen, und werden von speziellen Agenturen an ihre Arbeitgeber vermittelt. Als Dienstbotinnen und Kindermädchen erleben viele von ihnen ein unerwartetes Martyrium in Form von Abhängikeit und Gewalt.
Fenstersturz der Hausmädchen
Eine Anlaufstelle für Hausmädchen in Not ist das "Migrant Centre" in Beirut, das von dem Priester Father Martin McDermott betreut wird. Dort hilft ein Team von libanesischen Anwälten den ausländischen Hausangestellten, sich mit rechtlichen Mitteln bei Konflikten mit ihren Arbeitgebern oder den Vermittlerorganisationen zu verteidigen. Father Martin McDermott kritisiert, dass es im libanesischen Arbeitsgesetz kaum rechtlichen Schutz für die Hausangestellten gebe. "Der Arbeitgeber hat in seinem Haus die absolute Kontrolle über seine Angestellten", sagt er.
Die Willkür, mit der der Chef die Gastarbeiterin behandeln kann, ist in seinen Augen auch ein Grund dafür, dass die Unfallrate unter den ausländischen Hausmädchen im Libanon so erschreckend hoch ist. "Viele stürzen vom Balkon, und keiner weiß, was mit ihnen geschehen ist", so Father McDermott. Die Ursache sei meist unklar: wollten die Mädchen fliehen, aus Verzweiflung Selbstmord begehen oder wurden sie gar gestoßen?
Die große Zahl der Todesfälle unter den Gastarbeiterinnen bestätigt auch eine Studie der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch", die im Jahr 2008 erschien. Im Durchschnitt findet jede Woche ein Hausmädchen den Tod. Meist war er - so der Bericht - die Folge eines Sturzes aus dem vierten oder fünften Stockwerk eines Wohnhauses.
Abhängigkeit mit System
Um im Libanon Geld für ihre Familien zu verdienen, müssen die jungen Frauen einen hohen Preis bezahlen: ihre Freiheit. Der Weg in die Abhängigkeit gehört zum System. "Sie dürfen nur in das Land einreisen, wenn ein Libanese für sie bürgt", sagt Father McDermott. Das sei meist der zukünftige Arbeitgeber, dessen Name dann auf dem Visum der Arbeiterin im Pass vermerkt ist. Ohne diesen Pass aber kann sie das Land nicht wieder verlassen, einen Streit mit dem Bürgen also nicht riskieren. "Auch den Wechsel des Arbeitgebers kann sie nicht selbständig herbeiführen, denn dazu braucht sie die Erlaubnis der libanesischen Staatssicherheit", sagt der Priester. Er fordert deshalb ein Gesetz, das den Hausmädchen wöchentlich einen freien Tag außerhalb des Hauses zusichert. "So können sie Hilfe suchen, wenn sie von ihrem Arbeitgeber schlecht behandelt werden", sagt er.
Diskriminierung bis zur Sklaverei
Gesetze zum Schutz der Gastarbeiterinnen fordert die libanesische Regisseurin Carol Mansour. Sie hat zwei Dokumentationen zum Thema produziert, und die Gewalt und Ausbeutung deutlich gemacht. "Wir haben nur wenig Fälle gesehen, in denen der Arbeitgeber für seine Vergehen verurteilt wurde", sagt sie. Die Regisseurin sprach mit Mädchen, die in ihren Familien sehr glücklich zu sein schienen, aber auch mit Mädchen, die von Schlägen und Misshandlung gezeichnet waren. Am schlimmsten sei für sie das Schicksal einer jungen Frau gewesen, die acht Jahre lang nicht bezahlt worden war, erzählt Carol Mansour. "Ich konnte es nicht glauben. Das ist wie Sklaverei."
Die scheinbare Immunität der Dienstherren vor den libanesischen Gerichten war auch Inhalt eines Berichts von "Human Rights Watch", der in der vergangenen Woche in Beirut veröffentlicht wurde. Demzufolge landen nicht etwa die Arbeitgeber, sondern die Hausangestellten aufgrund belastender Aussagen ihrer Arbeitgeber im Gefängnis. Die Beschuldigten dürften vor der Verurteilung meist weder mit einem Anwalt noch mit einem Übersetzer sprechen.
Rassismus und Straflosigkeit
Warum werden die Gastarbeiterinnen im Libanon so schlecht behandelt? Nadim Houry, Leiter des Beiruter Büros von "Human Rights Watch", betrachtet Fremdenfeindlichkeit als einen Grund. "Die Arbeitgeber schauen auf die Angestellten aus Afrika und Asien herab", sagt er. Ein weitere Ursache sei eine Kultur der Straflosigkeit, die im Libanon vorherrsche.
In jüngster Zeit beobachtete Houry einige Verbesserungen im Umgang mit den Hausangestellten. So habe die Regierung eine Beschwerde-Hotline für Gastarbeiterinnen eingerichtet. Außerdem gäbe es mittlerweile einen Vertrag, der von beiden Seiten - Arbeitgeber und Hausangestellte - unterschrieben werden könne. Fraglich sei aber, ob die Arbeitgeber ihn mit ihren Angestellten ausfüllten. Zudem ist dieser Vertrag ausschließlich in arabischer Sprache und nicht in Übersetzung erhältlich. "Die Zivilgesellschaft und die Presse bemühen sich um Aufklärung", sagt Houry. Aber handeln müsste vor allem der Staat.
Autorin: Magdalena Suerbaum
Redaktion: Thomas Latschan/Ulrike Mast-Kirschning