Ausstiegshilfe für Islamisten in Großbritannien
25. November 2009Seit eineinhalb Jahren gibt es die "Quilliam Foundation". Sie hat 15 feste Mitarbeiter – allesamt ehemalige Islamisten. Der Think Tank hat sich zum Ziel gesetzt, Strategien gegen Extremisten zu entwickeln. Die Londoner Adresse des Instituts ist geheim, denn bei der Leitung von Quilliam gehen immer wieder Todesdrohungen ein. Der Name der Stiftung, die durch Spendern und Regierungszuschüsse finanziert wird, geht auf William Henry Abdullah Quilliam zurück, ein Liverpooler Bürger, der im 19. Jahrhundert zum Islam konvertierte. Er war einer der ersten britischen Muslime.
Ishtiaq Hussain sitzt in einem Café am Russell Square in London. Ein elegant gekleideter, nachdenklicher Mann Anfang 30. Er arbeitet für die "Quilliam Foundation". "Wir wissen, wie islamistische Gruppen funktionieren", sagt er, "schließlich gehörten wir früher selbst dazu. Viele Gruppen machen die Außenpolitik in Afghanistan und im Irak für den Radikalisierungsprozess verantwortlich. Wir sehen das anders: diese Missstände werden lediglich benutzt, um Leute zu rekrutieren." Und danach gehe es nur noch um ein Ziel: die Ideologie eines islamischen Superstaates zu verwirklichen und die nicht-islamische Welt zu bekämpfen.
Frage nach der Identität
Ishtiaq Hussain ist in Großbritannien geboren und aufgewachsen. Er kam aus gutem Hause, war bestens integriert, und hatte viele nicht-islamische Freunde. Zorn über die Massaker im Bosnienkrieg waren für ihn der Auslöser, um zu "Hizb ut-Tahrir" Kontakt aufzunehmen, einer fundamentalistischen Partei, die das Ideal eines muslimischen Kalifats anstrebt. In vielen Ländern, nicht aber in Großbritannien verboten ist. "Irgendwie besteht die Vorstellung, dass Leute, die sich zu dieser Ideologie hingezogen fühlen, verrückt sind und aus sozialen Brennpunkten stammen", sagt Hussain. Das stimme allerdings überhaupt nicht. "Die meisten Leute, die ich in Gruppen wie 'Hizb ut-Tahrir' kennenlernte, haben an britischen Top-Universitäten studiert, und kamen aus privilegierten Familien. Viele Mitglieder waren Ärzte, Ingenieure, und Anwälte."
Wie würdest du deine Identität beschreiben? Mit dieser Fangfrage wurde Ishtiaq Hussain nach seinem Parteibeitritt als erstes konfrontiert. Und tatsächlich fühlte er sich zwischen allen Stühlen: in Großbritannien bekam er rassistische Bemerkungen zu hören. Und auch in Pakistan, der Heimat seiner Eltern, galt er als Fremder. "Du bist kein Brite, du bist kein Pakistani, du bist ein Muslim, das ist deine religiöse und deine politische Identität. So lautete das Mantra von 'Hizb ut-Tahir'", erklärt er. Staatsgrenzen seien menschliche Erfindungen und würden mit der Schaffung eines muslimischen Kalifats hinfällig.
Keine klare Strategie
Jahrelang reiste Ishtiaq Hussain durch die Welt, um Mitglieder zu rekrutieren. Dabei traf er aber auch auf Professoren und Schriftgelehrte, die seine Thesen mithilfe des Korans widerlegten. Er begann zu zweifeln. "Wo steht es im Koran, dass der Islam keine Religion ist, sondern eine gottgegebene politische Ideologie", fragte er seine Gesinnungsgenossen. "Und wo sagt der Koran, dass wir bei der Schaffung des Kalifats Millionen von Menschen – darunter auch viele Muslime – töten müssen."
Die Abnabelung von "Hizb ut-Tahrir" war schwierig. Die Partei setzte ihn unter massiven psychologischen Druck. Von britischen Moscheen und Imamen kam keine Hilfe. Ohne seine Familie wäre Ishtiaq Hussain in ein schwarzes Loch gefallen, sagt er heute. Nun gibt er seine Erfahrungen weiter, spricht an britischen Universitäten, mit Imamen, mit der Polizei, und vor allem auch in muslimischen Gemeinden. Radikal-extremistische Organisationen kann man am besten durch offene Debatten bekämpfen, glaubt die "Quilliam Foundation". Verbote würden sie nur in den Untergrund treiben. "'Hizb –ut Tahrir' und Al Qaida vertreten eine unislamische politische Ideologie, die mit Religion nichts zu tun", sagt Hussain. "Diese Ideologie müssen wir angreifen."
Diese Woche warnte die "Quilliam Foundation" vor einer zunehmenden Radikalisierung in Gefängnissen: dort hätten gefährlichen Aktivisten freie Hand. Im Kampf gegen Extremisten besitze die britische Regierung immer noch keine klare Strategie. In der Vergangenheit wurden radikale Gruppen immer wieder mit Zuschüssen versorgt, manche Islamisten haben die Regierung sogar beraten. Irgendwie scheinen die britischen Behörden zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löst. Ob sie damit gut fahren, wird sich erweisen.
Autorin: Ruth Rach
Redaktion: Andreas Ziemons